„Digitalisierung ist der Schlüssel für einen effizienten Lagerbetrieb“
Herr Spitz, wenn Sie sich ein Lager in der Lebensmittelindustrie vor 20 Jahren und heute anschauen – was hat sich verändert?
Bei der Ausgestaltung der Lager im Lebensmittelbereich lassen sich verschiedene Trends beobachten. Einer davon ist der Konsolidierungsprozess bei den Lebensmittelherstellern. Hierbei konzentrieren sich größere Produktionsmengen auf eine kleinere Anzahl an Produzenten – was letztendlich dazu führt, dass die Lager an den Standorten mit diesem Wachstum Schritt halten müssen, um ausreichende Kapazitäten aufzuweisen.
Ein weitererTrend ist die Entwicklung hin zu einer immer größer werdenden Produktvielfalt am Point of Sale, denn die Verbraucher erwarten heute ein breiteres Angebot an Lebensmitteln als noch vor 20 Jahren.
Als zentrales Bindeglied zwischen Produktion und Handel spielt die Intralogistik eine wichtige Rolle. Inwiefern hat sich mit der zunehmenden Produktvielfalt der Bedarf nach automatisierten Lösungen gesteigert?
Der Mengen-, Kosten- und Zeitdruck ist deutlich gestiegen, nicht zuletzt auch durch den wachsenden Bedarf an tiefgekühlten und haltbaren Lebensmitteln. Die Lieferketten sind heute durchgängig organisiert und vernetzt. Und die Ansprüche an die Liefergenauigkeit nehmen permanent zu.
Same Day Delivery ist im Lebensmittel-Onlinehandel fast schon Standard ...
Die intelligente Steuerung des Lagers und der Ein- und Auslagerstrategien gewinnt unter diesen Bedingungen immer mehr an Bedeutung. Nur mit einem ausgeklügelten Konzept können sehr hohe Lagerfüllgrade und Versandbereitstellungen auch bei einer hohen Produktvielfalt effizient umgesetzt werden ...
... das heißt: Transparenz ist das A und O des Lagermanagements? Und um wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben, hat die digitale Transformation in der Intralogistik oberste Priorität?
Ja. Reichte es früher, den Lagerbestand zu kennen, heißt es heute, große Mengen an Daten aus den unterschiedlichsten Systemen zusammenzuführen und in Echtzeit zu verarbeiten. Die Digitalisierung ist an dieser Stelle der Schlüssel für einen effizienten und Ressourcen schonenden Lagerbetrieb. Intralogistiklösungen von Westfalia weisen aus diesem Grund einen sehr hohen Automatisierungsgrad auf. Beispielsweise durch die intelligente Steuerung des gesamten Lagers mit Savanna.NET.
Worum handelt es sich dabei genau?
Um ein vollintegriertes Warehouse Execution System (WES), welches Funktionalitäten wie Lagerverwaltung und Materialflusssteuerung in einer Software vereint. Savanna.NET ist modular aufgebaut und bietet Transparenz sowohl über das eigene Hochregallager als auch über ganze Cluster automatisierter Lagerstandorte. So ist es möglich, kleinste Lager mit wenigen hundert Stellplätzen bis hin zu größeren Installationen mit mehr als 100.000 Stellplätzen zu verwalten. Darüber hinaus gibt es verschiedenste Module, Versandmanagement, Kommissionierung, Staplerleitsysteme und vieles mehr, die je nach Anforderung zur Auswahl stehen.
Welche Komponenten umfasst Ihr Baukastensystem und welche Aufgabenstellungen lassen sich damit bewältigen?
Kunden von Westfalia haben die Möglichkeit, auf ein breites Portfolio an Lager- und Transporttechnologien zurückzugreifen. Mit diesem Baukasten können wir die Lagersysteme auf jede Anforderung feinjustieren. Gemein haben die Systeme dabei, dass sie mit einer sehr hohen Fertigungstiefe bei uns am Standort in Borgholzhausen konstruiert und gefertigt werden. Bei den verschiedenen Lagertechnologien können Lebensmittelhersteller auf unterschiedlichste Satellitentypen für die mehrfachtiefe Lagerung und auf diverse Arten des Teleskopgabellagers für die einfach- und doppeltiefe Lagerung zurückgreifen, um die vielfältigen Lager- und Transportaufgaben optimal zu bewältigen.
Mit Teleskoplagern und Satellitenlagern bieten Sie zwei unterschiedliche Lagerarten an. Welche Kriterien spielen bei der Auswahl eine Rolle?
Pauschal lässt sich diese Frage nur bedingt beantworten. Jede Lagerlösung ist individuell und wird durch unsere Projektplaner und Ingenieure optimal auf die Bedürfnisse des Kunden abgestimmt. Berücksichtigt werden bei der Planung neben den erforderlichen Anlagendurchsätzen und dem vorhandenen Platz auch weitere Aspekte, wie die durchschnittliche Chargengröße der Produkte, Versandstruktur und vieles mehr. Erst im Rahmen einer solchen detaillierten Analyse wird das ideale Lagersystem ausgearbeitet.
Wie beispielsweise im Falle von Wernsing Feinkost ...
Hier haben wir im Jahr 2022 mit einem automatischen Kühllager und zwei automatischen Tiefkühllagern die Kapazität von bislang 61.000 Stellplätzen um rund 23.000 Stellplätze für Euro-, Industrie-, H3- und Einwegpaletten erweitert. Zum Einsatz kam dabei unsere Satellitentechnologie.
Vor welcher Herausforderung stand der Produzent von Kartoffelprodukten dabei?
Es galt die saisonalen Kartoffelernten vollständig zu verwerten, also geballt zu verarbeiten und an einem einzigen Standort bis zum Verkauf einzulagern. Auf einer stark begrenzten Grundfläche sollte also maximale Kapazität entstehen. Hinzu kommt: Die Herstellung von tiefgekühlten Artikeln und ungekühlt haltbaren Lebensmitteln wird in der Regel in größeren Chargen realisiert. Über lange Zeit derart hohe Gewichte – in diesem Fall rund eine Tonne schwere Einheiten mit Kartoffelprodukten – einzulagern, belastet die zum Einsatz kommenden Paletten enorm. Diese biegen sich in Lagern mit Zweifachunterstützung durch, so dass es zu Störungen kommen kann ...
... und wie lautete die Antwort auf diese strapaziösen Bedingungen für die Ladehilfsmittel?
Im Dialog mit Wernsing hat sich der Ketten-Satellit mit Dreifachauflage als die optimale Lösung für die projektspezifischen Anforderungen herausgestellt. Die Kombination von Dreifachauflage, also einer zusätzlichen Mittelschiene in den Lagerkanälen, sowie dem Lastaufnahmemittel Ketten-Satellit ermöglichen eine besonders stabile Lagerung und lange Standzeiten bei hoher Verfügbarkeit der Anlage. Der Kunde kann außerdem problemlos auf Einwegpaletten ohne Unterpalette lagern, beispielsweise Artikel, die für den Export bestimmt sind.
Die Industrie beklagt einen massiven Fachkräftemangel. Speziell für Tiefkühllager wird es immer schwieriger, qualifizierte Personen für die Kommissionierung zu finden ...
Die harten Arbeitsbedingungen bei minus 25 Grad Celsius oder kälter sind ohne Frage eine der größten Herausforderungen für die Branche. Auch hier liegt der Schlüssel zum Erfolg im Einsatz von Automatisierung. Durch intelligente und vernetzte Prozesse lässt sich die knappe Ressource Mensch weiter schonen. Westfalia hat verschiedene Ansätze, wie Ware-zum-Mann-Systeme oder vollautomatisches Layerpicking, welche in der Tiefkühlumgebung und im Frischebereich mehrfach erfolgreich realisiert wurden. Ein besonderes Feature sind beispielsweise Wartungslifte an den Regalbediengeräten. In extremen Kühl- und Tiefkühlumgebungen entlasten sie das Personal. So ermöglichen sie den Servicemitarbeitern von Wernsing, kraftsparend jeden Punkt in den 29 Meter hohen Lagern zu erreichen.
Stichwort klimaneutrale Produktion. Lebensmittelhersteller wie Wernsing stehen vor der Herausforderung, die Nachhaltigkeit ihrer Prozesse ständig zu verbessern. Wie kann Intralogistik dabei helfen?
Ein Lagersystem muss immer Teil des Nachhaltigkeitskonzepts sein. Gerade im Tiefkühlbereich spielt das Satellitenlager hier seine Vorteile aus. Durch die sehr hohe Lagerdichte und den damit verbundenen hocheffizienten Raumnutzungsgrad lassen sich die Energiekosten für die Kühlung minimieren. Dies war ein weiterer Grund, warum sich Wernsing, das als erstes Unternehmen der kartoffelverarbeitenden Industrie in Deutschland seit Oktober 2020 zertifiziert klimaneutral wirtschaftet, für unsere Technologie entschieden hat. Doch das Hochregal liefert in mehrfacher Hinsicht einen Baustein zum nachhaltigen Wachstum des Nahrungsmittelproduzenten ...
Können Sie das näher erläutern?
Es überzeugt auch in Kombination mit seinen drei energieeffizienten Regalbediengeräten, die gemeinsam bis zu 184 Palettenbewegungen pro Stunde leisten. Sie verfügen über intelligente Antriebssteuerungen für den Energieausgleich zwischen Fahr- und Hubachse. Die Bremsenergie wird so als Hubenergie zur Verfügung gestellt und Strom ins System zurückgespeist. Hinzu kommt das Lagerlayout, das den Energieverbrauch senkt. Die mehrfachtiefen Lager kommen mit nur drei Lagergassen und Fahrzeugen im Standby aus.
Eine weitere Besonderheit ist die enorme Flexibilität des Lagerlayouts ...
Die beiden TK-Lager wurden um 20 Grad gedreht an das Kühllager gebaut, um die Grundstücksgrenze zu berücksichtigen. Der zur Verfügung stehende Raum wurde mit abgestuften Kanaltiefen optimal genutzt. 24 Stellplätze stellt der tiefste Lagerkanal bereit. Durch die hohe Kapazität konnte die Logistik bei Wernsing wirtschaftlich und ressourcenschonend gebündelt werden.
Womit sollten Lebensmittelproduzenten beginnen, wenn sie ihr bestehendes Lager automatisieren wollen?
Wir empfehlen zu Beginn immer das Gespräch mit einen unserer Intralogistikexperten. In Workshops können wir die kundenspezifischen Anforderungen und Rahmenbedingungen im Detail erfassen und daraus die passenden Konzeptlösungen ableiten.
Können Sie abschließend etwas zu den Trends sagen, die die Intralogistik künftig bewegt?
Ganz oben auf der Liste stehen die steigenden Energiekosten und die Digitalisierung. Der Trend hin zu immer effizienteren und hochautomatisierten Systemen wird bleiben. Zunehmend wettbewerbsentscheidend sind Lösungen im Sinne einer ressourcenschonenden Lagerlogistik. Gerade im Bereich der Künstlichen Intelligenz dürfte es spannend werden. Durch maschinelles Lernen wird die Lagerverwaltung agiler und reagiert so schneller auf geänderte Anforderungen in der Supply Chain – Ressourcen lassen sich so besser nutzen und Engpässe vermeiden.