„Unsere Lösungen bieten Hygienedesign für höchste Ansprüche“
Herr Burhenne, hohe Qualitätsanforderungen, kurzfristig schwankende Bedarfe und wechselndes Bedienpersonal sind für Lebensmittelproduzenten typische Anforderungen. Was kann robotergestützte Automation an dieser Stelle bewirken?
Dirk Burhenne: Die Automatisierungslösungen mit Robotern tragen dazu bei, die Produktivität bei geringerem Personaleinsatz zu erhöhen – und dies bei niedrigeren Kosten. Aber auch die immer größer werdenden Hygieneanforderungen und Qualitätsansprüche sind ein klarer Vorteil für die Robotertechnik, die durch eine hohe Flexibilität, Präzision und Wiederholgenauigkeit in Summe zu einer auf Dauer höheren Wirtschaftlichkeit führen. Dies kann auch für kleinere Betriebe, die oft mit kleinen Chargen viele Produktwechsel zu bewältigen haben, sehr interessant sein.
Hilft die robotergestützte Automation folglich dabei, die Produktion effizienter und damit nachhaltiger zu gestalten?
Hochautomatisierte Linienlösungen sorgen mit der schon erwähnten Flexibilität und Präzision für gleichbleibende Prozesse und somit für eine konstante Qualität und geringerem Ausschuss. Dies zieht sich durch den kompletten Produktionsprozess und betrifft sowohl das Produkt selbst als auch das Verpackungsmaterial und letztendlich dann ebenso den Energieverbrauch.
Welche Prozessschritte lassen sich mit den Stäubli-Robotern automatisieren?
Neben den klassischen Applikationen wie das Be- und Entladen, Sortieren und Verpacken, übernehmen unsere Roboter immer mehr Aufgaben im direkten Kontakt mit Lebensmitteln. Hierzu gehört etwa neben dem Beladen von Slicern mit Wurstkalibern oder Käseblöcken am Anfang der Verpackungslinie auch der Bereich, wo sie Wurst, Fleisch, Käse und andere Lebensmittel in Thermoformer oder Trays verpacken. Hinzu kommen Aufgaben wie das Auslösen von Knochen oder das Schälen von Obst und Gemüse.
Führt man sich die Produktionsbedingungen in der Lebensmittelindustrie vor Augen, zeigt sich: Schwer zu erfüllende Hygienestandards sowie tägliche Reinigungs- und Desinfektionsläufe sind für klassische Industrieroboter oft ein K.O.-Kriterium. Wo und wann kommen Roboter hier an ihre Grenzen?
Für die meisten Roboter sind die im Hygienebereich der Lebensmittelindustrie verwendeten Reinigungsmittel eine nicht zu überwindende Hürde, so dass sie hier nicht eingesetzt oder mit einem Schutzanzug betrieben werden müssen. Dies schränkt nicht nur den Arbeitsbereich ein. Es ist auch hygienisch betrachtet für Lebensmittelhersteller nur eine Kompromisslösung, da der Roboter so zwangsläufig ein „Verschleißteil“ und somit einen Kostenfaktor darstellt.
Und wie löst Stäubli diese Anforderungen?
Wir beschäftigen uns seit 15 Jahren mit diesem Thema und bieten hier mit unseren Robotern der Humid Environment-Serie, kurz HE, ein Produkt in Schutzart IP67 an, welches die Prozesse beim Einsatz von Reinigungsmitteln im pH-Bereich von zwei bis zwölf dauerhaft übersteht. Dies beherrscht derzeit kein anderer Roboterhersteller im Vier- und Sechsachsbereich.
Vor allem, wenn Vier- und Sechsachser mit offenen Lebensmitteln in direkten Kontakt kommen, gelten besonders strenge Hygienevorschriften …
Beim Design der HE-Roboter sind die Empfehlungen der European Hygienic Engineering and Design Group (EHEDG) und die Anregungen unserer Kunden aus der Lebensmittelindustrie deshalb maßgebend für uns gewesen. Hieraus entstanden ist die TS2 he Baureihe für unsere SCARA-Modelle und die TX2 he Baureihen für die Sechsachs-Roboter.
Was kennzeichnet die Roboter?
Beide Modellreihen haben eine speziell beschichtete Oberfläche, die nicht nur den oben genannten Reinigungsmitteln standhält, sondern auch durch ihre extrem geringe Rauigkeit das Anhaften von Produkten nahezu verhindert. Zudem sorgt das komplett gekapselte Design und der Einsatz von Spezialschrauben sowie die innenliegenden Versorgungs- und Medienleitungen, die im Roboterfuß von unten zugeführt werden, für eine strikte Vermeidung von Störkonturen und Toträumen, in denen sich Produkte festsetzen können. Zudem wird in den Stäubli-eigenen Getrieben für die HE-Serien nur H1 Öl verwendet, mit dem die Roboter ohne Leistungseinschränkungen arbeiten können. Wir bieten ein Hygienedesign für höchste Ansprüche.
Neben den klassischen Applikationen wie das Be- und Entladen übernehmen Stäubli-Roboter immer mehr Aufgaben im direkten Kontakt mit Lebensmitteln. © Stäubli
Dass Roboter in immer mehr Prozessen im direkten Bearbeitungsbereich tätig sind, geht auch auf den Einsatz kamerageführter Robotik zurück – ein Anwendungsfeld, bei dem die Roboter durch Bildverarbeitung zu einem „sehenden Produktionsmittel“ werden. Welche neuen Möglichkeiten eröffnet dies Lebensmittelproduzenten?
Ohne den Einsatz von intelligenten Vision Systemen wäre der Einsatz von Robotik in der Lebensmittelindustrie an vielen Stellen gar nicht möglich. Das gilt für klassische Pick and Place-Anwendungen, wobei die Systeme den Robotern die Greifpositionen übermitteln, bis hin zur Ermittlung von Größe, Geometrie, Kontur, Form und Dichte von Produkten, um diese für gewichtsgenaue Verpackungsprozesse oder Bearbeitungsprozesse zu analysieren. Auch der Bereich Qualitätskontrolle ist hier ein großes Einsatzgebiet, beginnend bei der einfachen Etikettenkontrolle bei Verpackungen bis hin zu aufwendigen Produktanalysen.
Welche Rolle spielt Künstlicher Intelligenz in solchen Einsatzszenarien?
Eine entscheidende, denn die KI hat viele von diesen Anwendungen erst möglich gemacht. Der Einsatz im Lebensmittelbereich ist unendlich. Gerade bei Naturprodukten wie Lebensmitteln, die in ihren unterschiedlichsten Formen, Größen und Beschaffenheiten vorliegen, bieten sich damit viele neue Möglichkeiten. Das gilt vor allem für Bearbeitungsbereiche, die ohne diese Technologie so nicht möglich wären. Ob beim Be- und Verarbeiten von Fleisch, Fisch und Geflügel oder von Obst und Gemüse, aber natürlich auch bei der Lebensmittelsicherheit und Qualitätssicherung.
Haben Sie ein Beispiel für eine solche Applikation?
Mayekawa aus Japan setzt unsere HE-Roboter schon seit einigen Jahren in ihre Hamdas-Systeme ein, unter anderem zum Entbeinen von Schweinevorder- und Hinterschinken. Ich nenne dies immer gern die „Königsklasse“. Die Vorder- und Hinterschinken werden hierbei in ein Fördersystem gehangen und bewegen sich daran durch den kompletten Prozess. Die Position des Schinkens ist also immer fix. In der ersten Station wird das Produkt durch ein Röntgensystem gefahren, in dem die Knochenlage ermittelt wird. Diese Daten werden an die Roboter gesandt, welche dann sehr genau mit einem Messer das Fleisch vom Knochen trennen. Daneben hat Mayekawa im vergangenen Jahr zudem das neue Celldas-System vorgestellt.
Was leistet das System?
Es ist wesentlich flexibler, da hiermit unterschiedliche Produkte entbeint werden können. Die Produkte werden über Bandsysteme der Bearbeitungszelle zugeführt. Herzstück der Anlage ist eine Detektionseinheit aus Röntgen-3D Scanner und KI-System, welche die Produktvermessung und Knochendetektion vornehmen. Entbeint wird dann hochpräzise mit drei Robotern, und zwar mit den Stäubli Modellen TX2-60 he und TX2-90 he.
Mayekawa aus Japan setzt HE-Roboter unter anderem zum Entbeinen von Schweinevorder- und Hinterschinken ein. © Mayekawa MFG. CO., LTD
Auch Cobots zählen zu den Schlüsseltechnologien in der Robotik. Sind diese Technologien für Lebensmittelhersteller eine Option?
Der Begriff Cobot ist zurzeit in aller Munde. Den Einsatz im Lebensmittelbereich sehe ich jedoch differenziert. Wir haben im Lebensmittelbereich sehr oft hohe Taktleistungen, wenig Platz und bei diesen Platzverhältnissen hohen Personen- und Produktverkehr und dies alles dann noch im Hygienebereich. Dies erschwert die Cobot-Anwendungen, wobei es natürlich vereinzelt sehr gute Lösungen gibt. Beispielsweise bei Anwendungen, wo es nicht auf Taktleistungen ankommt, oder der Cobot mit dem Mitarbeiter “Hand in Hand“ arbeiten kann.
Bietet Stäubli solch eine Lösung an?
Wir gehen hier mit unserer Power-Cobot-Baureihe einen etwas anderen Weg. Bei unseren TX2touch-Modellen kommen unsere Standard-Sechsachs-Kinematiken mit all ihren Features und Vorteilen zum Einsatz. Ergänzt wird diese durch eine berührungsempfindliche Haut. In Zusammenarbeit mit unserem Controller CS9, der standardmäßig schon alle Sicherheitsfunktionen an Bord hat, können hiermit Mensch-Maschine Anwendungen der Sicherheitskategorie SIL3-PLe realisiert werden und dies mit der gewohnten Dynamik, Agilität und Bahntreue unserer TX2-Modelle. Für den Lebensmittelbereich selbstverständlich mit der Verwendung von H1 Öl.
An welchen neuen Lösungen für die Lebensmittelindustrie arbeitet Stäubli?
Aktuell arbeiten wir daran unsere Lösungen für das hygienische Umfeld der Lebensmittelproduktion noch zu verfeinern und zu ergänzen, um hier unseren Vorsprung auszubauen und gerade für die künftigen Anforderungen auch in Verbindung mit KI im Bereich der Lebensmittelverarbeitung gewappnet zu sein.
) Die HE-Roboter von Stäubli wurden speziell für den Einsatz in feuchten und hygienischen Umgebungen konzipiert. Für sie ist auch das Abstrahlen mit heißem Wasser, das Einschäumen mit Reinigungschemikalien und manuelles Bürsten kein Problem. © Stäubli