Ein Maximum an Nachhaltigkeit
Herr Désilets, der Stellenwert von digital durchgeführten Lebensmittelkäufen hat in Deutschland in den vergangenen Jahren stetig zugenommen …
Ja, das stimmt, bis auf spezielle Produkte lassen sich viele Lebensmittel mittlerweile bestellen und in die Region liefern. Ausgangspunkt sind zunehmend lokale Geschäfte oder Lager, die ihre Region beliefern, immer mehr auch noch am gleichen Tag. Es ist ein „Bringservice der letzten Meile“ entstanden, ähnlich wie der Lieferservice der Gastronomie. Daher gehen beide Services auch stärker zusammen und bündeln ihre Kräfte und Expertise.
Welche Potenziale bieten sich dadurch für die Food Branche?
Das hängt klar von der Logistik und davon ab, wo die Lebensmittel gelagert werden – im Geschäft „um die Ecke“ oder in einem Zentrallager, das Overnight ausliefert. Bei Letzterem gibt es die bessere Steuerung der Mengen, um etwa Spitzen auszugleichen. Der Shop vor Ort ist im Zweifel auf seinen Bestand limitiert. Zudem kann der Onlineshop die Qualität empfindlicher Waren wie Obst und Gemüse besser handhaben, weil sie im Lager weniger beansprucht wird als im Shop, wo jeder Kunde die Ware anfasst. Auch ist die Kühlkette im zentralen Lager besser zu kontrollieren. Der Food Waste kann somit reduziert werden.
Im Zentrallager kommen nicht zuletzt zunehmend automatisierte Prozesse und intelligente Technologien für eine präzise Bestandsführung zum Einsatz …
Die Potenziale durch die Daten, die erhoben werden, sind enorm – etwa um Bedarfe zusammen mit Wetterdaten oder Festivitäten besser zu prognostizieren und Lagerbestände in Echtzeit zu optimieren.
Zu den großen Herausforderungen im E-Commerce zählt zudem, die für den Transport verwendeten Verpackungen nachhaltiger zu gestalten. Was sind typische Anfragen, mit denen Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie auf Sie zukommen?
Bisher waren die Anfragen noch sehr stark auf einen Materialwechsel ausgerichtet: Wie können die Unternehmen Kunststoffe reduzieren und Barrieren oder Funktionen dennoch erreichen? Wie lässt sich Nachhaltigkeit durch bessere Recyclingfähigkeit stärken und ein besseres Image beim Verbraucher erreichen? Aktuell bewegt es sich sehr stark hin zu einem besseren Verständnis der neuen Gesetzgebungen, und was das für die Verpackungsportfolios der Unternehmen für Auswirkungen hat.
Das große Schlagwort ist hier die PPWR – die Packaging and Packaging Waste Regulation der EU …
Der E-Commerce wird durch die neuen Vorgaben deutlich höhere Anforderungen haben. Diese sind in vielen Bereichen vergleichbar mit den Anforderungen an Transportverpackungen. Den neuen Regeln nach, die voraussichtlich ab 2026 gelten, sollen Verpackungen nicht nur umweltfreundlicher und recycelbar gestaltet werden, sondern auch einen Fokus auf den Grundgedanken der Kreislaufwirtschaft legen: die Mehrfachverwendung. Deshalb rücken zunehmend Verpackungen in den Mittelpunkt, die ohne Recyclingprozess mehrere Male weitergenutzt oder neu befüllt werden können. Dafür sieht die PPWR bestimmte Quoten für den Einsatz von Mehrwegverpackungen im Transportbereich sowie im Onlinehandel vor. Nach jetzigem Stand sollen bis 2030 mindestens 40 Prozent der angebotenen Versandverpackungen mehrwegfähig sein. Bis 2040 sollen die EU-Mitgliedstaaten 70 Prozent Mehrweganteil im E-Commerce anstreben.
Was muss eine Verpackung aus Sicht eines Onlinehändlers leisten können?
Lebensmittel stellen andere Anforderungen an Verpackungen als Gebrauchsgüter oder Elektrogeräte. Lebensmittel werden in der Regel gebündelt verpackt und verschickt, sprich meist wird eine zusätzliche Stoßdämpfung und Isolierung benötigt, damit die Produkte unbeschadet ihr Ziel erreichen. Ein Overpacking ist hierbei allerdings kontraproduktiv, etwa wenn das Auspackerlebnis darin besteht, haufenweise Luftpolsterfolien zu entsorgen. Hier geht der Trend bereits jetzt deutlich zu faserbasiertem Verpackungsmaterial und reduzierten Verpackungen, um den Leerraum zu verringern. Auch werden die Anforderungen an Mehrwegverpackungen in der Zukunft stabilere Verpackungen mit sich bringen. Zusammen mit Transportkisten können etwa Innengefache für die Rückführlogistik neu gedacht werden. Das gilt ebenso für eine Kombination von Trockenprodukten, Frisch- und Tiefkühlware in der gleichen Versandbox.
Zusätzlich müssen häufig Temperaturgrenzen beim Transport eingehalten werden …
Sicherlich spielt die Kühlkette eine große Herausforderung, um Frische zu gewährleisten. Das ist aber per se kein Problem. Hier sind schon verschiedene Lösungen am Markt für Frische-Produkte und Tiefkühlprodukte. Diese Verpackungen sind in der Regel aufwändiger und teurer. Zusammen mit dem zunehmenden und geforderten Mehrwegtrend können aber auch diese teureren Verpackungen durch eine Rücknahme und Wiederverwendung Kostenvorteile mit jeder Nutzung bieten. Hier wird es wichtig sein, rechtzeitig Erfahrungen zu sammeln, um sich später für das richtige Konzept zu entscheiden.
Welche Unterstützung bietet Pacoon?
Eine unserer Leistungen umfasst neben der Verpackungskonzeption das Monitoring von Gesetzen. Gerade die neuen Anforderungen der PPWR sind sehr komplex, das Gesetzeswerk ist mit Vorwort und Anhängen rund 260 Seiten stark und enthält viele Querverweise. Hier sind Anforderungen an Mehrwegverpackungen, Leerraum in Verpackungen, Rezyklatmaterialien und weitere Packungskonzeptionen enthalten. Wir haben daher – auch durch Kundenprojekte – die Anforderungen leicht verständlich aufbereitet. Denn niemand will das Gesetz immer wieder lesen und ständig den Anwalt befragen, sondern wissen, was es für Auswirkungen auf das Packungsportfolio hat. In diesem Zusammenhang kommen gerade viele aus EU- und Nicht-EU-Ländern auf uns zu, die sich häufig über die PPWR noch gar nicht bewusst sind.
Wie lassen sich die neuen Vorgaben also schneller erschließen?
Für ein leichtes Verständnis haben wir die PPWR in Guidelines und Entscheidungsbäume umgemünzt. Wichtig ist, die Anforderungen zu verstehen über das gesamte Portfolio. Daher müssen sich die Firmen rechtzeitig mit dem Gesetz und den Anforderungen befassen, sonst rennt ihnen am Ende die Zeit davon – und dann droht im Ernstfall auch das Vermarktungsverbot auf dem EU-Markt – auch für Unternehmen, die in die EU liefern.
Abschließend die Frage: Wenn Sie zehn Jahre vorausdenken: Was wird sich im E-Commerce von Lebensmitteln ändern?
E-Commerce wird ein etablierter Distributionskanal sein, vielleicht sogar noch wichtiger als der Shop um die Ecke. Das Ladensterben im Handel wird sich auch bei Lebensmittelmärkten fortsetzen.
Welche Entwicklungen beobachten Sie hier?
Das Essen wird heute schon von den jüngeren Zielgruppen bestellt, die Älteren schätzen den Bringservice von Wocheneinkäufen oder schweren Produkten wie Getränke. Die Kosten für Wohnraum nehmen immer weiter zu, damit sind die Menschen gezwungen zu sparen – da die Wertigkeit von Essen in Deutschland nicht sehr hoch angesiedelt ist, wird das den Trend zu Fast Food und Lieferservices beschleunigen. Dazu kommt, dass viele Haushalte gar nicht mehr wirklich kochen können und sich schon stark auf Fertiggerichte eingestellt haben. Die Gastronomie wird also als sozialer Raum fungieren, gegessen wird vorher zuhause oder bei Freunden durch geliefertes Essen oder selbst zubereitete Fertiggerichte.
Was bedeutet das für den Verpackungsbereich?
Ich glaube, dass die Frische- und Tiefkühlsortimente zunehmen werden, es gibt ja heute schon ganze Ketten im In- und Ausland, die komplett aus TK-Ware bestehen, man denke an Iceland in UK oder Bofrost und Eismann als Lieferservices in Deutschland. Darum entwickeln wir heute schon Packungskonzepte für gekochte oder gebackene Lebensmittel zur Erhitzung in der Mikrowelle, die neue Möglichkeiten bieten, sich, zuhause oder im Büro schnell eine große Vielfalt an Lebensmitteln energieeffizient zuzubereiten.
Pacoon-Geschäftsführer Peter Désilets begleitet Unternehmen seit über 15 Jahren auf dem Weg zu zukunftsfähigen Verpackungen. © Pacoon