Energieträger der Zukunft?
Die Welt soll sauberer werden; unser Handeln nachhaltiger. Fossile Rohstoffe, wie Erdöl, Kohle oder Erdgas, sollen Stück für Stück durch regenerative Quellen ersetzt werden. Wasserstoff gilt dabei als eine wichtige Säule für das Energiesystem der Zukunft. Doch welche Potenziale hat das Gas – vor allem in der Lebensmittelbranche?
Die Erdbeermarmelade unter den Energieträgern
Doch warum sollte man über den „Umweg“ Wasserstoff gehen, wo man regenerativ gewonnenen Strom auch direkt nutzen kann? „Das werden wir oft gefragt“, sagt Guido Jansen. Er ist Sprecher des Instituts für nachhaltige Wasserstoffwirtschaft (INW) am Forschungszentrum Jülich. Das Institut bildet den Kern des Helmholtz-Clusters Wasserstoff. „Wir antworten dann gern mit einem Vergleich von Erdbeeren und Erdbeermarmelade“, fügt er schmunzelnd hinzu. „Sicher ist es effizienter, die Erdbeeren gleich zu essen als sie in vielen Prozessschritten zu Marmelade zu verarbeiten. Doch Erdbeeren sind nicht immer verfügbar und können nicht sonderlich lange gelagert werden. Deshalb funktioniert auch Erdbeermarmelade als Geschäftsmodell.“ So verhält es sich eben auch mit Strom und Wasserstoff. Natürlich sei es am besten, den Strom direkt zu nutzen, meint der Experte. Doch ohne Speicher wird es in Zukunft nicht gehen. Und da sieht er in Wasserstoff einen idealen Energieträger. „Wir wollen hier in keiner Weise in Konkurrenz zu Batterien treten“, sagt er. „Wir denken, dass jede Technologie ihre Berechtigung hat und ihren Anwendungsfall findet.“
Wie diese Anwendungsfälle aussehen und welche technischen Herausforderungen dort zu lösen sind, wird aktuell auch in Jülich intensiv untersucht. „Eines unserer Projekte ist die Versorgung eines Krankenhauses mit Strom und Wärme“, erklärt Guido Jansen. „Dazu testen wir eine neuartige Festoxid-Brennstoffzelle unseres Projektpartners Bosch Energy zusammen mit einer innovativen Form des Wasserstofftransports.“ Dieser wird in der finalen Ausbaustufe des Projekts nämlich nicht heruntergekühlt oder unter hohem Druck angeliefert, sondern kommt an einen flüssigen organischen Träger gebunden. Beim Speichern bauen diese Liquid Organic Hydrogen Carriers, kurz LOHC den Wasserstoff über eine chemische Reaktion in ihre Molekülstruktur ein. Das ist die Hydrierung. Dann kann die Flüssigkeit im Tankwagen transportiert und auch gelagert werden. Für die Verwendung sorgt ein Teil der Abwärme aus der Brennstoffzelle dafür, den Wasserstoff aus dem Trägermedium zu extrahieren. Das ist die Dehydrierung. Die restliche Wärme der Brennstoffzellen steht zur Nutzung bereit. „Wir haben uns ein Krankenhaus ausgesucht, weil hier rund um die Uhr ein kontinuierlicher Bedarf an Strom und Wärme besteht“, sagt er. „Das lässt sich im Prinzip auch auf andere Anwendungen und Branchen übertragen.“
Wasserstoff hat Potenzial im Food Sektor
Zum Beispiel auch auf die Lebensmittelbranche. Und für diese ist das Gas schon lange nichts Neues mehr. So wird Wasserstoff zum Beispiel für die Härtung von Fetten verwendet. Bei diesem als Hydrierung bekannten Prozess sorgt der Wasserstoff für eine Sättigung der Doppelbindungen der Fettsäurereste. Das verändert den Schmelzpunkt. Öle, die bei Raumtemperatur flüssig sind, werden zu streichfähigen Fetten. Margarine ist hierfür ein sehr prominentes Beispiel. Außerdem wird das Gas als Lebensmittelzusatzstoff mit der Nummer E 949 geführt und dient als Pack- oder Treibgas. Nicht wegzudenken ist der Wasserstoff auch, wenn man ganz an den Anfang der Prozessketten im Lebensmittelbereich blickt – zur Landwirtschaft. Denn zusammen mit Stickstoff wird das Gas im Haber-Bosch-Verfahren zu Ammoniak. Und das ist wiederum der Ausgangspunkt für die wichtigsten Düngemittel.
In diesen Einsatzgebieten geht es also gar nicht um die Frage, ob Wasserstoff Einzug halten wird. Vielmehr bieten sie einen guten Ansatzpunkt für die Dekarbonisierung der Branche. Denn bisher stammt der Löwenanteil des Wasserstoffs noch aus fossilen Quellen. So wurden beispielsweise die im Jahr 2021 weltweit produzierten 94 Millionen Tonnen Wasserstoff zu 99,06 Prozent aus Erdgas, Kohle, Öl und Raffinerienebenprodukten hergestellt. Mit einer Steigerung des grünen Anteils – also Wasserstoff aus sonnen- und windenergiebetriebener Elektrolyse – ließen sie die heutigen Wasserstoffverbraucher in der Lebensmittelindustrie ohne zusätzliche Investitionen in bestehende Anlagen nachhaltig machen.
Aber auch in an anderen Bereichen der Lebensmittelbranche hat Wasserstoff durchaus Potenzial. Denn viele Verarbeiter haben ebenfalls einen hohen Bedarf an Strom und Wärme ohne große Schwankungen im Tagesverlauf. Ähnlich wie im Krankenhausprojekt der Jülicher Forscher sind auch hier Brennstoffzellen das Mittel der Wahl. Diese Systeme sind eigentlich ein alter Hut. Denn das Prinzip ist bereits seit 1838 bekannt und wurde später vor allem in der Raumfahrt eingesetzt. In einem Brennstoffzellen-Stack – wie die kleinste Einheit der Systeme genannt wird – verbinden sich Wasserstoff und Sauerstoff innerhalb eines Elektrolyts zu Wasser. Dabei wird Energie frei, die wir als elektrischen Strom auskoppeln können. Für industrielle Anwendungen kommen vor allem die bereits erwähnten SOFC-Systeme infrage. Das steht für Solid Oxide Fuel Cell also Festoxid-Brennstoffzelle. Der Elektrolyt ist hier eine spezielle Keramik. Solche Zellen arbeiten bei Temperaturen von einigen Hundert Grad Celsius. Das bietet die Möglichkeit, neben elektrischem Strom auch Wärme nutzen zu können. Diese kann entweder ausgekoppelt und ins betriebseigene Wärmenetz eingespeist oder aber mittels Absorptionskältemaschinen in Kälte umgewandelt werden. Bei Nutzung von Strom und Wärme arbeiten moderne System mit einem Gesamtwirkungsgrad von etwa 90 Prozent.
In einer Wasserstoffwirtschaft muss die Lebensmittelbranche aber nicht nur als Konsument in Erscheinung treten. Denn sie verfügt über hervorragende Voraussetzungen, den Energieträger und Rohstoff selbst zu produzieren beziehungsweise die Ausgangsstoffe dafür bereitzustellen. Denn Wasserstoff lässt sich nicht nur durch die Spaltung von Wasser erzeugen. Er kann auch aus organischen Stoffen gewonnen werden. Bioabfälle zum Beispiel. Oder Kunststoffe. Beides fällt in der Lebensmittelindustrie in großen Mengen an und muss bisher aufwendig entsorgt werden. Deshalb gibt es mittlerweile Unternehmen, die sich auf die Umwandlung der Abfallströme in Rohstoffe spezialisiert haben.
Wagen oder warten?
Noch steckt die viel beschworene Wasserstoffwirtschaft in den Kinderschuhen. Dabei mangelt es nicht an potenziellen Ansatzpunkten. Doch wo sollte man anfangen zu investieren? „Sicher gibt es Bereiche, in denen Wasserstoff enorm viel zur Erreichung der Klimaziele beitragen kann. In der Stahlindustrie zum Beispiel. Oder bei der Glasherstellung“, sagt Guido Jansen. „Doch wir denken, dass die Technologien möglichst breit über alle dafür infrage kommenden Branchen eingeführt werden sollen. Es wäre nicht klug, erst auf genügend Wasserstoff zu warten und dann mit Überlegungen zu dessen Einsatz zu beginnen.“ Ein Staat, der das erkannt zu haben scheint, ist China. Das Reich der Mitte investiert in großem Stil in Wasserstoffprojekte und will bis zum Ende des Jahrzehnts zehn Prozent des Endenergieverbrauchs aus regenerativ produziertem Wasserstoff decken.
Und Deutschland? „Im Bereich der Wasserstoffforschung und der Technologie sind wir im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt“, sagt er. „Bei der Umsetzung der Projekte sind andere Länder aktuell oftmals schneller.“ Hier beobachtet er, dass deutsche Unternehmen eher zögerlich agieren. Oft würde gewartet und der Frage nachgegangen, ob sich eine Umrüstung denn auch rentieren könne. „Den Unternehmen andere Möglichkeiten aufzuzeigen, ist eines der Ziele des Helmholtz-Clusters Wasserstoff“, sagt er. „Mit unseren Demonstrationsprojekten wollen wir zeigen, dass viele Technologien das Forschungsstadium bereits verlassen haben und sich durchaus im Einsatz bewähren.“