Greifer im Hygienedesign
In diesem Interview
- Die Automatisierung also als wichtigste Schubkraft. Welche Anforderungen treten für Produzenten in den Vordergrund, wenn es um Neuanschaffungen geht?
- Vor allem die Automation mit Robotern ist für die Betriebe zunehmend ein zentraler Wettbewerbsfaktor …
- Welche Problemstellungen sind hier zu nennen?
- Die Vakuumgreiftechnik ist einer Ihrer Schwerpunkte am DIL im Bereich Automatisierung. In welcher Weise unterscheidet sich die diese von anderen Greiftechniken?
- Wie ist das Funktionsprinzip?
- Welche Vorteile bieten sich den Herstellern, wenn sie auf Vakuumgreifer setzen?
- … zum Beispiel?
- Sie haben es bereits angesprochen: Bei der Handhabe von Lebensmitteln muss die Hygiene in jedem Fall eingehalten werden. Wie lässt sich dies gewährleisten?
- Wo finden die Greifer in der Praxis bereits Verwendung?
- Welche weiteren Technologien stehen bei der Entwicklung noch im Fokus?
- Warum der Einsatz von KI?
- Bietet das DIL solch eine Lösung an?
Herr Schröder, für Produzenten geht es in der Herstellung um größtmögliche Effizienz. Lebensmittel müssen schnell verpackt und günstig in den Verkauf gebracht werden. Was kann die Automatisierungstechnik an dieser Stelle leisten?
Jens Schröder: Sie stellt einen essenziellen Faktor für die zukünftige Produktion dar. Durch fehlende Arbeitskräfte und hohen Kostendruck bei gleichzeitig steigenden Lohnstrukturen ist aus meiner Sicht die Automatisierung von Prozessen der einzige Weg, zukunftsfähig Lebensmittel in hoher Quantität und Qualität zu produzieren und so die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland zu gewährleisten.
Jens Schröder ist Abteilungsleiter Automatisierungstechnik beim DIL Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik in Quakenbrück und verantwortet dort auch die Weiterentwicklung der Vakuum-Greifer für die Lebensmittelindustrie. © press4process
Die Automatisierung also als wichtigste Schubkraft. Welche Anforderungen treten für Produzenten in den Vordergrund, wenn es um Neuanschaffungen geht?
Die Maschinen und Anlagen müssen natürlich hohe Hygienestandards erfüllen. Nur gut geplante und konstruierte Anlagen können in diesem Bereich gegenüber der manuellen Produktion Vorteile bringen. Insbesondere dann, wenn saisonal oder allgemein ein hoher Fachkräftemangel in den Betrieben vorherrscht, können automatisierte Systeme gleichbleibende Qualitätsstandards gewährleisten und Hygienerisiken vermeiden.
Vor allem die Automation mit Robotern ist für die Betriebe zunehmend ein zentraler Wettbewerbsfaktor …
Mit den Weiterentwicklungen der Roboterhersteller finden sich immer mehr Modelle, die den direkten Einsatz am Lebensmittel erlauben. Die Roboter können allerdings nur mit dem passenden Greifwerkzeug zur Automatisierung von Prozessen eingesetzt werden. Die Handhabung von Lebensmitteln bietet eine Vielzahl an Hindernissen, so dass der Greifvorgang häufig zu einem höchst komplexen Vorgang wird.
Welche Problemstellungen sind hier zu nennen?
Bei direktem Produktkontakt nehmen Hygiene und Reinigung einen hohen Stellenwert ein. Greifsysteme müssen einfach zu reinigen sein und dürfen kein Kontaminationsrisiko für die Produkte darstellen. Ferner treten in der Verarbeitung von Naturprodukten häufig große Varianzen bei Abmessungen und Gewichten auf. Produkte können sehr verletzlich und empfindlich sein und/oder raue, feuchte oder klebrige Oberflächen aufweisen. Auf all diese Bedingungen muss ein Greifsystem angepasst sein, sowie gleichzeitig in wechselnden Temperaturbedingungen und bei hohen Taktzeiten dauerstabil funktionieren.
Die Vakuumgreiftechnik ist einer Ihrer Schwerpunkte am DIL im Bereich Automatisierung. In welcher Weise unterscheidet sich die diese von anderen Greiftechniken?
Bei der Vakuumgreiftechnik wird ein Vakuum erzeugt, welches in Kombination mit einer Saugglocke eine Haltekraft erzeugt, um Produkte zu handhaben. Im Gegensatz zu anderen Systemen werden in der Regel keine mechanischen Komponenten benötigt und durch Adaption der Saugglocken lässt sich das System einfach und schnell an die Gegebenheiten der Produkte anpassen.
Die DIL Vakuumgreiftechnik lässt sich an unterschiedliche Produkte anpassen. © DIL
Wie ist das Funktionsprinzip?
Das Prinzip unseres Vakuumerzeugers basiert auf dem Coandă-Effekt. Druckluft wird über einen Ringspalt auf eine gekrümmte Oberfläche geleitet und definiert entlang einer Düse geführt. Hierdurch stellt sich an der Unterseite der Düse ein Unterdruck ein, wobei durch die Gestaltung der Düse gleichzeitig Umgebungsluft angesaugt wird und sich so eine Luftverstärkung ergibt.
Welche Vorteile bieten sich den Herstellern, wenn sie auf Vakuumgreifer setzen?
Unser System bietet eine Vielzahl von Vorteilen in der Handhabung von Lebensmitteln. So lässt sich das Vakuum direkt oberhalb des Produktes erzeugen, wodurch sich eine geringe Verkeimungsstrecke ergibt. Schlauchleitungen werden nicht kontaminiert und durch die Gestaltung im Hygienic Design lässt sich das System schnell und einfach reinigen. Zusätzlich ermöglicht der hohe Luftfluss die Überwindung hoher Leckagen, weshalb auch nicht luftschlüssig abgedichtete Produkte gut und sicher gegriffen werden können. Damit stellen auch raue Oberflächen kein Problem dar.
… zum Beispiel?
Etwa panierte Produkte oder porige und luftdurchlässige Produkte wie Brotscheiben. Grundsätzlich lässt sich das System schnell und einfach an fast alle Produkte anpassen, so dass sowohl Fleisch-, Wurstwaren, Käse, Obst- und Gemüse als auch Süßwaren mit dem Greifsystem zu handhaben sind.
Sie haben es bereits angesprochen: Bei der Handhabe von Lebensmitteln muss die Hygiene in jedem Fall eingehalten werden. Wie lässt sich dies gewährleisten?
Der Vakuumerzeuger ist aus Edelstahl hergestellt und im Hygienic Design konstruiert, so dass eine schnelle und einfache Reinigung garantiert ist und Reinigungsmittel kein Problem darstellen. Natürlich muss das System regelmäßig gereinigt werden. Dies kann je nach Produkt und Prozess schnell und einfach direkt in der Anlage oder zum Beispiel in der Spülmaschine erfolgen. Notwendige Saugglocken werden immer so ausgewählt, dass neben der Funktion auch die einfache Reinigung und Konformität für die Lebensmittelproduktion gegeben sind.
Wo finden die Greifer in der Praxis bereits Verwendung?
Die Greifer kommen in unterschiedlichsten Anwendungen zum Einsatz und verpacken beispielsweise Fleischwaren, legen Burger Patties auf, handhaben Käselaibe oder auch Kekse. Ein sehr interessantes Beispiel ist der Einsatz im Schälprozess von Avocados. Hier hat die Firma Kronen mit einer Greiflösung des DIL eine neuartige Anlage entwickelt, die mit drei Robotern die Verarbeitung von bis zu 1.000 Früchten pro Stunde ermöglicht. Dies schafft in der Avocadoverarbeitung komplett neue Möglichkeiten.
Welche weiteren Technologien stehen bei der Entwicklung noch im Fokus?
Wir sehen Bildverarbeitung in Kombination mit Mechanismen der Künstlichen Intelligenz als enormen Innovationstreiber für die Automatisierung in der Lebensmittelindustrie an. Produkte müssen bewertet, Qualitäten bestimmt und Griffpunkte ermittelt werden.
Warum der Einsatz von KI?
Klassische Bildverarbeitung kommt im Lebensmittelumfeld oft an ihre Grenzen, und so kann KI hier als Problemlöser dienen. Neben dem Einsatz in der Bildverarbeitung kann KI durch Datenanalyse in den Bereichen Prozesssteuerung und Fertigungsplanung eingesetzt werden, um nachhaltigere Abläufe zu schaffen und Ressourcen effizienter einzusetzen.
Bietet das DIL solch eine Lösung an?
Die Themenfelder Bildverarbeitung und KI sind auch am DIL in den vergangenen Jahren immer stärker in den Mittelpunkt gerückt. So fokussiert sich beispielsweise das Vorhaben Movi-Q auf KI-gestützte visuelle Qualitätskontrollen von Lebensmitteln und hier speziell auf die Verringerung der Eintrittshürden, um die Technologien in die breitere Anwendung zu bringen. Aber auch die akustische Bewertung von Produkten, die optische Erkennung von Tierverhalten oder allgemein die Digitalisierung der Lebensmittelwertschöpfungskette fließen in unsere Forschungstätigkeiten ein. Diese Forschungsfelder vom DIL decken sich hierbei mit dem Tätigungsfeld Digitalisierung der Landesinitiative Ernährungswirtschaft Niedersachen (LI Food), die Unternehmen der Lebensmittelindustrie beratend begleitet.