Höhere Effizienz trifft flexiblen Verbrauch
Lebensmittelindustrie in der Energiewende
Jeder Energieträger verursacht unterschiedliche Emissionen. Ebenso wie die Anteile der verschiedenen fossilen und erneuerbaren Energien am Stromerzeugungsmix ständig schwanken, schwankt auch der Grid Emission Factor (GEF), also die spezifische CO2-Emission des Stroms. Aus ökologischer Perspektive ist ein geringer GEF erstrebenswert, andererseits ist der jeweilige Börsenpreis des Stroms ein wichtiger wirtschaftlicher Anreiz. Die Untersuchungen des InES ergaben eine positive Korrelation beider Kennzahlen, d. h. niedrige spezifische Emissionen gehen meist mit niedrigen Strombörsenpreisen einher. Um diesen Zusammenhang auszunutzen und ihre Systemeffizienz zu erhöhen, können Lebensmittelbetriebe den Betrieb von Verbrauchern gezielt in emissionsarme Zeiten verschieben. In emissionsreichen Zeiten kann verstärkt selbst erzeugter Strom zum Einsatz kommen. Ein Überblick über die genauen Abläufe ist essenziell für ein systemeffizientes Energiekonzept. Komplementiert wird dieses mit der verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien und der Umrüstung auf energiesparende Einzelmaßnahmen.
Optimierter Betrieb von Reinigungsanlagen
Den Reinigungsprozessen als Querschnittstechnologie in der Lebensmittelindustrie kommt eine besondere Rolle bei der Stabilisierung der Energiekosten für den Industrieprozess zu. Effizienzpotenziale an CIP-Reinigungsanlagen bestehen zum einen in der Isolierung von Rohrleitungen und Tanks und zum anderen im Vorwärmen der Leitungen durch Abwärme. Außerdem lässt sich die Abwärme von flüssigen Abfallstoffen, also Wasser, Laugen, Säuren und Reinigungsmitteln, die im Reinigungsprozess verworfen werden, zur Vorwärmung von neuen Reinigungsmitteln oder Frischwasser nutzten. Hier liegt ein großes Wärmereservoir, das aber jeweils nur während der kurzen Gully-Phasen in vielen kleinen Teilmengen anfällt. Diese müssten vor der Abwärmenutzung in einem separaten Tank gesammelt werden. In der Untersuchung, die an einer CIP-Anlage der Molkerei Zott durchgeführt wurde, ergab sich im einmonatigen Betrachtungszeitraum aufgrund der hohen Volumina trotz verhältnismäßig geringer Temperaturen von 25 bis 35 °C ein hohes theoretisches Potenzial von bis zu 57 MWh. Wärmemengen mit niedrigem Temperaturniveau können mittels Wärmepumpen und EE-Strom CO2-arm auf höhere Temperaturniveaus gehoben werden. Dann können sie auch zum Nachheizen von Säure und Lauge eingesetzt werden und die Systemflexibilität steigt. Eine Verschiebung von Reinigungsprozeduren bringt – sofern sie möglich ist – laut der Untersuchung zwar höhere Flexibilität in den Energiebezug, stellt allerdings einen Eingriff in die Produktionsabläufe dar, was oftmals nicht praktikabel ist.
Im Rahmen des Systemeffizienz-Ansatzes kann auch ein höherer Energiebedarf an erneuerbarem Strom zum richtigen Zeitpunkt zu erhöhtem Nutzen führen. ©InES
Effizienterer Einsatz von Blockheizkraftwerken
Am Beispiel der mittelständischen Andechser Molkerei Seitz wurde mittels eigens erstellter Flexibilitätsmodelle eine ausführliche techno-ökonomische Analyse zum effizienteren Einsatz von BHKW durchgeführt. Ein Ziel war, statt der üblichen hohen Eigenversorgung mit Wärme und Strom Konzepte zu untersuchen, die auf größtmögliche Systemeffizienz setzen: Ein BHKW produziert und speist den Strom komplett ins öffentliche Netz, während wenig EE zur Verfügung stehen. Das BHKW und der Wärmespeicher müssen dafür tendenziell größer dimensioniert werden als bei Eigenstromversorgung. Der Strom für Produktion und Kälteerzeugung stammt vollständig aus dem öffentlichen Stromnetz.
Im Vergleich der beiden Modelle zeigte sich, dass für 2020 mit relativ günstigen stabilen Preisen und starren Voraussetzungen keine der untersuchten Flex-Varianten niedrigere Energieversorgungskosten erreichte als das Eigenversorgungskonzept. Im Jahr 2022 mit seinen extremen Rahmenbedingungen hingegen erreichten alle Flex-Varianten niedrigere Energieversorgungskosten als das Konzept zur Eigenversorgung. Auch die Amortisationszeiten fallen besser aus. Bei steigender Preisvolatilität und unsicheren Rahmenbedingungen können flexible Konzepte die Resilienz der betrieblichen Energieversorgung also steigern und zur Risikominimierung beitragen.
Potenziale einer flexibilisierten Kühlkette
Zur Flexibilisierung der Kühlkette wird bei niedrigen spezifischen Emissionen die Lufttemperatur im Kühlhaus herabgesetzt, wodurch die elektrische Bezugsleistung steigt. Bei hohen Emissionen, die gleichzeitig häufig mit einem höheren Strombörsenpreis einhergehen, wird die Kälteanlage so lange abgeschaltet, bis die vorgegebene Lufttemperatur erreicht ist. Dann wird zu Sicherung der Produktqualität die Kühlung fortgesetzt. Die Variation der Lufttemperatur im Kühlhaus kann dabei höher sein als die zulässige Variation der Produkte im Kühlhaus, weil diese in einem gewissen Rahmen als Temperaturpuffer fungieren. So kann die elektrische Bezugsleistung je nach Anteil der EE am Strommix verringert oder erhöht werden. Eine Emissionsminderung entsteht dann beim Strombezug. Jede Flexibilisierung eines Gliedes in der Kühlkette hat aber Auswirkungen auf die anderen Schritte, da sich die Produkttemperatur ändert. So kann sich der Kühlbedarf in nachfolgende Stationen verschieben und sich negativ auf den Energieverbrauch beim Lkw-Transport auswirken. Umgekehrt kann hingegen der Kühlbedarf beim Lkw-Transport bereits im Kühlhaus erbracht werden:
Der Lkw-Transport lässt sich energetisch dadurch flexibilisieren, dass die Innentemperatur variiert wird. Die Temperaturen sind dabei von Faktoren wie Fahrtdauer, Startzeitpunkt oder Jahreszeit abhängig. Ist die Zielgröße beispielweise eine Auslieferungstemperatur von 4,7 °C, kann das mit einer Innentemperatur von 4 °C und einer Produkttemperatur von 5 °C erreicht werden oder mit einer Innentemperatur von 6,5 °C und einer Produkttemperatur von 3,75 °C. Für den Untersuchungszeitraum können laut der Modellrechnungen bis zu 90 % der transportbedingten Emissionen eingespart werden, wenn die Produkttemperatur entsprechend herabgesetzt wird. Über die gesamte Kühlkette gerechnet ergaben sich Einsparungen um die 40 %, von denen wiederum ein Großteil auf den Lkw-Transport entfiel.
Beispiel für eine mögliche Emissionseinsparung durch gezielte Flexibilisierung der Kühlkette. ©InES
Milchindustrie kann viele Chancen individuell nutzen
Die milchverarbeitende Industrie bringt insgesamt gute Voraussetzungen mit, um die Energiewende aktiv mitzugestalten. Es gibt viel Potenzial mit individuell auf den jeweiligen Betrieb angepassten Maßnahmen eine deutliche CO2-Senkung zu erreichen, damit bares Geld zu sparen und die Versorgungssicherheit zu erhöhen.
Im Rahmen des Systemeffizienz-Ansatzes kann auch ein höherer Energiebedarf zum richtigen Zeitpunkt zulässig sein, weil der Nutzen klar überwiegt. Ein Beispiel ist der Power2Cool-Ansatz, bei dem Kompressionskälte aus EE-Strom gezielt zur tieferen Kühlung des Hochregallagers genutzt wird. Auf der Erzeugerseite kann ein ausreichend dimensioniertes Blockheizkraftwerk je nach Fahrweise und Wärmenutzungskonzept Emissionen senken, Energiekosten stabilisieren oder den Fremdenergiebedarf senken. Das zentrale Instrument für die Steigerung der Systemeffizienz liegt – nicht nur in der milchverarbeitenden Industrie – im Erfassen, gezielten Anpassen und intelligenten Nutzen der vorhandenen Temperaturniveaus.
Prof. Dr.-Ing.
Uwe
Holzhammer
Institut für neue Energie-Systeme (InES) an der TH Ingolstadt
Telefon +49 841 9348-5025
www.thi.de/go/energie
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