Mehr Effizienz entlang der Lieferkette
Durch Produktionsüberschüsse verliert die Lebensmittelindustrie jedes Jahr viel Geld. Den aktuellen Zahlen vom Statistischen Bundesamt zufolge waren es im Jahr 2020 mit 1,6 Millionen Tonnen etwa 15 Prozent, die in der Verarbeitung und mit 0,2 Millionen Tonnen zwei Prozent, die in der Primärproduktion hierzulande entsorgungsseitig angefallen sind. Weltweit gehen nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) jedes Jahr 1,2 Milliarden Tonnen entlang der gesamten Lebensmittelversorgungskette verloren. Die dadurch global verursachten Treibhausgasemissionen (THG) pro Jahr werden auf 4,4 Gigatonnen beziffert.
Neue Wertschöpfung durch Upcycling
Bleiben Lebensmittel dagegen im Kreislauf, dient das dem Klimaschutz und schont Ressourcen. Die Optionen dazu bietet die Digitalisierung. Etwa, wenn Überschüsse und Nebenströme über Online-Plattformen wieder in die Kreislaufwirtschaft einfließen. Zu den Vorreitern auf diesem Gebiet zählen Startups wie SPKR.global in Berlin, Leroma in Düsseldorf oder Invisible Foods in Barendrecht in den Niederlanden. Über solche Plattformen lässt sich beispielsweise überschüssiges Obst weiterverkaufen. Ein Matching-Algorithmus findet den passenden Abnehmer. Das digital-unterstützte, rasche Zusammenbringen von Angebot und Nachfrage steigert die Effizienz der Lieferkette erheblich und ermöglicht somit langfristig die Reduzierung der Lebensmittelüberproduktion. Doch nicht nur eine schnelle Vermittlung von Restposten ist das Ziel. Ebenso das Upcycling von Reststoffen und Nebenströmen, die sich produktionsbedingt nicht vermeiden lassen, können über die Online-Plattformen einen neuen Zweck erhalten. Dabei finden einige Überschüsse Verwendung in benachbarten Industrien. Beispiele sind zu dunkel geröstete Kaffeebohnen als natürlicher Ersatz für Mikroplastik in Peelings in der Kosmetikindustrie und Fischhaut für die Herstellung von Collagenkapseln in der Kosmetik- und Pharmaindustrie.
Matchmaking von Überschuss
Auch auf der SPRK-Plattform werden die Akteure digital verknüpft und können wie auf einem Marktplatz über Angebot und Nachfrage kommunizieren. Das Unternehmen arbeitet dafür mit Landwirten, Produzenten und Großhändlern zusammen. Auf der Abnehmerseite finden sich lebensmittelverarbeitende Betriebe, Kantinen, Gastronomen und gemeinnützige Organisationen. Doch wie funktioniert das konkret? „Die Akteure lassen relevante Informationen über ihre Ware einfließen, darunter beispielsweise die Tonnage, Produktspezifika, die Qualität und den Ursprungsort. Wir bieten die Ware anschließend auf unserer Plattform den Interessenten an“, erläutert Alexander Piutti. „So können Abnehmer Waren spontan und zu einem vergünstigten Preis erhalten, und Anbieter ihre Waren, statt sie kostenintensiv zu entsorgen, für einen fairen Preis verkaufen“, so der Gründer gegenüber dem Anuga FoodTec Magazin. Die SPRK-Plattform ist in der Lage, quasi in Echtzeit Angebot und Nachfrage der Waren zu matchen, wodurch die Frische der Ware sichergestellt wird.
„Unser Ziel ist es, die globale Herausforderung der Lebensmittelverschwendung entlang der Lieferkette zu lösen“, unterstreicht Piutti. Vor allem die Überschüsse am Anfang der Lieferkette sind für den Experten dabei ein potenziell wirksamer Hebel. „Die Agrarindustrie verfügt oft über bestens genießbare Überschüsse, die sich mangels Alternativen nicht vollständig vermarkten lassen.“ Dabei handelt es sich zum Beispiel um den Teil einer Ernte, der keine Abnehmer findet und dann in der Regel als Rest auf den Feldern verbleibt und untergepflügt wird. „Man spricht in diesem Fall von Food Loss, zusätzlich zum Food Waste, also Überschüssen, die bereits in der Lieferkette sind und so zu Lebensmittelverschwendung führen“, so Piutti.
KI für größtmögliche Effizienz
Mittels ihrer digitalen B2B-Handelsplattform lässt SPRK einen Sekundärmarkt für solch überschüssige Lebensmittel entstehen, so dass die Waren nicht entsorgt, sondern umverteilt und noch verarbeitet werden können. Piutti: „Unser Herz schlägt für den Frischebereich, also Obst und Gemüse, quasi die Königsdisziplin in der Lieferkette.“ Hier geht es oft um unverpackte Ware, die gekühlt gelagert und transportiert werden muss. Es handelt sich also um einen Wettlauf mit der Zeit: die Frische der Produkte muss erhalten bleiben, bis die Produkte einen Abnehmer gefunden haben und verarbeitet werden können. „Obst und Gemüse ist sowohl auf der B2B-Seite durch Abnehmer wie Schneidebetriebe, Großhändler und Kantinen als auch auf der B2C-Seite sehr gefragt – vor allem bei unseren NGO-Partnern wie der Tafel Potsdam zum Beispiel“, so Piutti.
Für größtmögliche Effizienz setzt SPRK bei seinem Vorhaben auf Künstliche Intelligenz (KI). Mittels entsprechender Algorithmen sollen anhand von historischen Überschussdaten und Mustern Prognosen getroffen werden, wann welche Art von Ware sowohl anfällt als auch benötigt wird. Das System basiert auf einer Architektur, welche man als neuronale kollaborative Filterung bezeichnet. Diese führt semantische Informationen über Produkte mit historischen Transaktionen zusammen und kann so Vorschläge generieren, wohin Lebensmittelüberschüsse auf der Plattform umverteilt und wo sie verarbeitet werden sollen. Das damit immer effizienter werdende Matchmaking von Überschuss soll die Lebensmittelüberproduktion in der Lieferkette insgesamt herunterfahren. „Wir bei SPRK sehen Technologie generell als Schlüssel zur Lösung globaler Probleme. Das Besondere an der KI ist, dass sie mit der Zeit dazulernt auf Basis des stetig wachsenden Daten-Inputs der SPRK-Partner, sowohl auf der Supply- als auch auf der Demand-Seite“, hebt Piutti hervor.
Anlagenbau als Partner
Seit der Gründung im Jahr 2020 hat SPRK mehr als 80 Partner gefunden. Auch der Anlagen- und Maschinenbau zählt zum Netzwerk. Mit Anlagen- und Maschinenbauern pflegt Piutti einen engen Austausch, da sie die verarbeitende Industrie als Kunden beliefern. Seiner Erfahrung nach sind die Produktionspartner stark daran interessiert, über SPRK nachhaltig zu sourcen. Exemplarisch hierfür steht die Zusammenarbeit mit Kronen aus Kehl. „Die lebensmittelverarbeitenden Unternehmen aus dem Netzwerk des Technologieanbieters profitieren von guter Verfügbarkeit, von fairen, vergünstigten Einkaufskosten für einwandfreie Waren. Wir selbst gewinnen Plattform-Teilnehmer, um die noch frischen Waren umzuverteilen und die Unternehmen erhöhen die Planbarkeit beim Sourcing der notwendigen Ware. So reduzieren alle Akteure der Lieferkette gemeinsam die Lebensmittelverschwendung, schützen Ressourcen und Klima und sorgen für eine geschlossene Kreislaufwirtschaft im Lebensmittelsektor“, sagt Piutti.
Teilnehmer der SPRK-Plattformen können bisher auf verschiedenste Weise digital Überschüsse melden oder anfragen – über Mail, per SMS oder Formular. Für noch mehr digitale Effizienz und vereinfachte Kommunikation auf allen Seiten entwickeln Piutti und sein Team derzeit mit dem Institut für Normung eine DIN SPEC, eine Art Normungsdokument, für die digital gestützte, effiziente Weiterverteilung und Verarbeitung von überschüssigen Lebensmitteln. Darüber hinaus bedarf es für eine Kooperation mit SPKR keiner technischen Voraussetzung, um Teil des Netzwerks zu werden. „Jeder Lieferketten-Akteur ist herzlich eingeladen, sich bei uns zu melden“, so Piutti zum Abschluss des Gesprächs.
Alexander Piutti ist Gründer und CEO von SPRK.global. Er baute mehrere Technologie- und Impact- Unternehmen, wie Overture oder SirPlus auf und hat als Coach unter anderem mit Samsung, Daimler oder den Vereinten Nationen zusammengearbeitet, um bei der Definition und Umsetzung von innovations- und gemeinwohl-orientierten Strategien zu unterstützen. (© SPRK.global GmbH)