Mit KI zur optimierten Produktionsplanung
Herr Pfaff, wenn es um Food Waste im Backwarenbereich geht, über welche Größenordnung reden wir da?
Es gibt eine Studie vom WWF aus dem Jahr 2019. Darin heißt es, dass in Deutschland rund 1,7 Millionen Tonnen Backwaren pro Jahr entsorgt werden. Das ist eine Riesenmenge und würde umgerechnet wohl der Ernte von gut 400.000 Hektar entsprechen. Rund ein Drittel davon sind die Retouren der Bäckereien. Also etwas über eine halbe Million Tonnen. Alles, was in den Filialen nicht verkauft und an die Zentrale zurückgeschickt wird, landet im Tierfutter, in der Biogasanlage oder in vielen Fällen einfach in der Mülltonne. Letztendlich werden Backwaren also nicht ihrer eigentlichen Verwendung zugeführt. Und mal ganz ehrlich: Schweinefutter kann man sicherlich auch ressourcenschonender herstellen, als dass man die Rohstoffe vorher in ein Nussbrot verwandelt. Deshalb ist die Produktionsplanung so wichtig.
Wie sieht diese denn normalerweise aus?
Klassischerweise werden die Mengen in den Filialen bestimmt. Das heißt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen für die nächsten Tage planen. Und das passiert oft zwischen Tür und Angel. Das hat vor allem zwei Gründe. Erstens sind die Filialprozesse deutlich komplexer geworden. Viele Hygienebestimmungen müssen eingehalten, Dinge vorbereitet, Abrechnungen erstellt werden. Und wenn zwischendurch mal fünf Minuten frei sind, plant man eben noch schnell, was am nächsten Tag kommen soll. Zweitens haben die Bäckereien – wie viele andere Branchen auch – ein enormes Personalproblem. Doch eben mal für den nächsten Tag zu planen, wie viel Brot, Brötchen und Kuchen ich brauche, ist nicht so einfach. Die Planung wird also zu einer immer größeren Herausforderung, so dass Software an der Stelle einfach Sinn macht. Und da geht der Trend auch hin.
Und hier kommt dann ihre KI ins Spiel. Wie funktioniert das?
Letztendlich werden alle für uns relevanten Daten an der Kasse produziert. Drückt da eine Person auf den Knopf, entsteht ein Datenpunkt. Und da setzen wir an. Wenn wir mit einem Projekt beginnen, machen wir uns erst mal ein Bild über die Datenlage. Dann passen wir unsere Software so lange an, bis sie immer weiter in die Automatisierung gehen kann. So lernt das System dazu und die Bäckerei kann dann im besten Fall immer mehr automatische Datenpunkte übernehmen.
Gibt es auch Grenzen, an die Ihre KI stößt?
Die Grenzen unserer KI liegen eigentlich immer in der Datenqualität. Ein Beispiel: In der Filiale gibt es ein belegtes Körnerbrötchen. Und es gibt eine Taste auf der Kasse, die „belegtes Körnerbrötchen“ heißt. Allerdings wird nicht erfasst, welches der fünf verschiedenen Körnerbrötchen aus dem Sortiment gerade für das Belegte genommen wird. Die Bestellmengen für die einzelnen Sorten lassen sich dann nicht mehr präzise vorhersagen. Doch das sehen wir sehr schnell und transparent in unserer Benutzeroberfläche. Aus diesen Datenpunkten ist also gar nichts Besseres rauszuholen. In solchen Fällen schlagen wir dem Kunden vor, die Kassenprogrammierung zu ändern. Dann wird beim Belegten eben noch die Sorte des Körnerbrötchens eingegeben. Schon erhält man bessere Daten und damit auch eine genauere Prognose.
Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, eine künstliche Intelligenz gegen Food Waste einzusetzen?
Ich hasse es, Essen wegzuschmeißen. Ich bin auch derjenige, der das übrig gebliebene Schulbrot meiner Tochter am nächsten Morgen noch isst. Fragen Sie mich nicht, woher das kommt. Vielleicht, weil ich als kleiner Junge immer in den Sommerferien bei meiner Oma auf dem Bauernhof war. Während meiner Doktorarbeit habe ich mich dann viel mit Daten beschäftigt und habe Zehntausende Zeilen an Programmiercode geschrieben, um diese zu analysieren. Die Frage, was ich mit diesem Wissen über Datenanalyse, Statistik und KI alles Sinnvolles tun könnte, hat mich seitdem beschäftigt. Und dann habe ich einen Bericht über Lebensmittelverschwendung gesehen. Da waren diese Bilder von riesigen Müllcontainern. Da lagen nicht ein oder zwei Brote drin, sondern Tausende. Das hat mich sehr berührt und war letztendlich der Funke, der FoodTracks gezündet hat.
Doch der Weg zur fertigen Software war sicher nicht so einfach?
Das stimmt. Denn eine Sache habe ich auf jeden Fall unterschätzt: und zwar, wie unterschiedlich die Prozesse in den einzelnen Bäckereien sind. Von außen sieht es immer so aus, als ob da Brötchen verkauft werden, und das war‘s. Doch um mit den Bake-off-Stationen im Lebensmitteleinzelhandel konkurrieren zu können und trotzdem die bestmögliche Qualität anzubieten, lassen sich die Bäckereien viel einfallen. Manche liefern morgens die bereits gebackenen Brötchen, damit sie sofort verfügbar sind. Dann gibt es die Teiglinge. Und es gibt noch eine sogenannte Gärunterbrechung, die am Vortag angelieferte Teiglinge auf eine bestimmte Temperatur kühlt. So haben sie morgens die genau richtige Gare, um dann aufgebacken werden zu können. Hinter all dem steckt sehr viel Know-how, sehr viel Aufwand und eine sehr hohe Prozesskomplexität. Das spiegelt sich auch in den Daten wider. Und damit mussten wir erst einmal klarkommen. Ein Brötchen ist eben nicht nur ein Brötchen, sondern dahinter verbergen sich drei, vier, manchmal sogar mehr Artikel. Und für alle müssen die Mengen richtig geplant werden.
Das heißt, mit vorgefertigten Lösungen und Algorithmen von der Stange sind Sie nicht sehr weit gekommen?
Tatsächlich hätte ich anfangs nicht gedacht, dass man mit bestehenden Algorithmen hier nicht so viel erreichen kann. Wir mussten vieles neu entwickeln. Wie den Algorithmus für die Umsatzchance. Ein klassisches Beispiel: Ich komme am Sonntag um 10:30 Uhr zu meinem Bäcker und das Croissant ist ausverkauft. Das sehen wir oft in den Daten. Jetzt interessiert natürlich die Frage, wie viele Croissants man bis Ladenschluss noch hätte verkaufen können? Einen solchen Algorithmus gab es nicht als vorgefertigten Baustein und da konnte uns auch niemand helfen. Nun geht er direkt in unsere Prognose ein.
Und wie ist die Resonanz innerhalb der Bäckerschaft? Stoßen sie eher auf Skepsis oder eher auf Neugier?
Wir stoßen auf jeden Fall auf eine sehr hohe Erwartungshaltung. Und dazu hat nicht zuletzt auch ChatGPT beigetragen. Denn da sieht man, was eine KI alles kann. Es ist wirklich fantastisch, ja beinahe unglaublich. Da kann man schnell denken: Wenn ChatGPT das kann, dann kann ich das mit meinen Bäckerdaten doch bestimmt auch. Und zwar völlig automatisiert. Doch der Vergleich hinkt. Einem Chatbot eine Frage zu stellen ist etwas ganz anderes als die Vollautomatisierung einer Produktion mit Bäckerdaten. Sehen Sie, in ChatGPT wurden Hunderte Millionen von Dollar investiert, um den Algorithmus mit sauberen Daten zu trainieren. Ganze Heerscharen waren damit beauftragt, Trainingsdaten zu erzeugen. Eine Bäckerei wird niemals so viel Geld investieren, um ihre Daten historisch auch bis ins Letzte zu bereinigen. Das schlägt sich letzten Endes in den Prognosen nieder. Wir müssen also erst mal eine gewisse Aufklärungsarbeit bei den Bäckereien leisten, um die Erwartungshaltung zu relativieren.
Da stoßen dann sicher manchmal auch Welten aufeinander?
Richtig. Denn die Branche ist nun mal handwerklich geprägt. Deshalb begleiten wir unsere Kunden auch ein Stück weit bei der Digitalisierung und der datengetriebenen Entscheidungsfindung. Ich glaube, das ist eine Richtung, in die viele Firmen gehen wollen und auch müssen. Also weg vom Bauchgefühl und hin zu dem, was die Daten sagen. Das ist wichtig, um im Wettbewerb bestehen zu können. Und wir haben schon einige Betriebe in Deutschland dabei begleitet, dieses Umdenken zu vollziehen. Denn nur weil man die letzten 30 Jahre alles aus dem Bauch heraus gut gemacht hat, heißt es nicht, dass das die beste Lösung für die Zukunft ist. Da stoßen wir große Denk- und Wandelprozesse in den Bäckereien an.
Wie wird es mit FoodTracks weitergehen? Schielen Sie auch in andere Bereiche?
Wir haben bereits zwei Kunden aus dem Lebensmitteleinzelhandel. Zwei Ketten von Bio-Supermärkten. Das ist auf jeden Fall auch ein Feld, das uns Spaß macht und in dem wir uns weiter betätigen wollen. Da betreuen wir erst mal die Bäckerecken. Denn wir sind einfach Profis, was die Bäckerdaten angeht. Aber das ist ein sehr dickes Brett, was wir da bohren. Einfach viel dicker, als ich es am Anfang erwartet hätte. Deswegen sind das Wissen und der Umgang mit den Daten extrem wichtig. Wir sind aktuell Marktführer im Bäckereibereich und diese Position wollen wir auf jeden Fall halten und ausbauen. Es kann aber auch durchaus sein, dass wir uns in Zukunft noch weitere Sortimentsteile anschauen werden. Obst und Gemüse vielleicht. Oder Milchprodukte. Denkbar sind eben all jene Bereiche, in denen wertvolle Ressourcen weggeschmissen werden und für die unsere Software grundsätzlich auch geeignet ist.
Dr. Tobias Pfaff