Net-Zero für die Molkereiindustrie – GEA und OmegaLambdaTec gehen neue Wege
Herr Jackson, wie können Data Science & KI-Lösungen zur Ressourcenschonung in der Lebensmittelindustrie beitragen?
Thomas Jackson: Data-Science-Lösungen – insbesondere KI-Algorithmen – haben zwei große Vorteile gegenüber einer reinen menschlichen Betrachtung: Erstens können große Mengen an Daten schnell und effizient verarbeitet werden und zweitens lassen sich damit auch Zusammenhänge und Muster leicht finden und gewinnbringend einsetzen, die visuell oder mit klassischen Methoden kaum erkennbar wären. Dadurch können wir nicht nur bekannte und naheliegende Vorschläge für eine verbesserte Ressourceneffizienz auf Industrieskala bekommen, sondern auch mögliche, gänzlich neue Ansätze und Wege identifizieren, um Ressourcen zu sparen.
Welchen Anpassungsdruck sehen Sie für die Molkereibranche?
Thomas Jackson: Der Klimawandel und die damit verbundene Notwendigkeit nachhaltig und CO2-neutral zu leben und zu wirtschaften, wird für unsere Gesellschaft ein immer größeres Thema. Viele Kunden – darunter auch ich selbst – achten beim Einkaufen immer mehr auf den ökologischen Fußabdruck der Produkte. Um diesen Fußabdruck weiter zu reduzieren, besteht für die Lebensmittelbranche nun großes Potenzial, durch den Einsatz neuester KI-Technologien einen weiteren entscheidenden Schritt vorwärts zu gehen. Durch die gezielte Auswertung großer Datenmengen mit entsprechend trainierten Algorithmen, lassen sich bessere oder gar optimale Entscheidungen treffen, um die Produktion nachhaltiger zu gestalten. Da jeder Bauernhof, jede Molkerei, jede Produktionsstätte andere Anforderungen und Rahmenbedingungen hat, muss eine KI-Lösung sehr flexibel und gleichzeitig skalierbar sein – und genau daran arbeiten wir.
Christian Becker: Bezogen auf konkrete Ressourcen ist der sparsame Umgang mit Wasser eine große Herausforderung in der Milchverarbeitung, die eng mit den betrieblichen Abläufen verflochten ist. In der gesamten Produktion, vor allem für die Reinigung aber auch zur Maschinenkühlung, ist Wasser unverzichtbar. Diese Abhängigkeit führt unweigerlich zu erheblichen Abwasserströmen, die mit organischen und anorganischen Stoffen und chemischen Rückständen belastet sind. Die Herausforderung liegt darin, den Frischwasserverbrauch und die Abwassermengen so weit wie möglich zu reduzieren, ohne Kompromisse bei Produktivität, Produktsicherheit oder Anlagenverfügbarkeit einzugehen.
©GEA
Welche Anwendungen konnte OmegaLambdaTec bereits realisieren?
Thomas Jackson:Unser Data-Science-Team hat insgesamt schon über 200 Smart-Data-Lösungen umgesetzt und genau darauf bauen wir auf, auch wenn die Lebensmittelindustrie für uns eine eher neue Anwendungsbranche ist. Mit unserem Algorithmen-Portfolio bringen wir sehr viele der notwendigen Lösungskomponenten, die wir in der Vergangenheit mit und für andere Partner und Kunden entwickelt haben, quasi schon fertig mit. Dazu zählen z.B. die detaillierte Modellierung und Simulation von Trinkwasserkreisläufen, langfristige Szenarien-Simulationen ökologischer Fußabdrücke, Optimierungsverfahren zur Berechnung der bestmöglichen Ressourceneffizienz, die datengetriebene Echtzeitüberwachung von Produktionsanlagen sowie die Identifizierung kostenoptimaler Ausbauszenarien.
Welche Maßnahmen hat GEA bei seinen aktuellen Produkten bereits ergriffen, um zur Ressourcenschonung in der Molkereiindustrie beizutragen?
Christian Becker: Tatsächlich finden sich ressourcenschonende Lösungen für die Molkereiindustrie schon seit Jahren im GEA-Portfolio, denn unser Unternehmenszweck ist nicht erst seit gestern „Engineering for a better world“. Durch den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Fokus gewinnt unser Ringen um nachhaltigere Lösungen jedoch einen zusätzlichen Antrieb. Nachhaltigkeit ist Teil unserer Wachstumsstrategie, deshalb prägen praktikable, nachhaltige Lösungen unser Technologieportfolio genauso wie unsere Innovations-Pipeline.
Zum Beispiel haben wir das Add Better-Label ins Leben gerufen, das offenlegt, welche Lösungen von GEA deutlich ressourcenschonender und umweltfreundlicher sind als ihre Vorläufer. Dabei geht es nicht nur um Energieeffizienz, sondern auch um weniger Emissionen, Wasser- und Rohstoffverbrauch. Das Ökolabel wird jeweils datenbasiert vergeben, nach einer bewährten ISO-Berechnungsmethode ermittelt und vom TÜV Rheinland validiert. Add Better ist eine wichtige Säule in GEAs Bestrebungen, unsere Treibhausgasemissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Jahr 2040 auf Netto-Null zu reduzieren.
Welche Hauptprobleme müssen noch gelöst werden, um das Ziel „Null-Frischwasser für die Milchindustrie“ zu erreichen?
Georg Munde: Die Molkereibranche muss ein strategisches Wassermanagement priorisieren, das den unmittelbaren betrieblichen Anforderungen gerecht wird und gleichzeitig langfristige Nachhaltigkeitsüberlegungen mit einbezieht. Der Wille zu solch einem grundsätzlichen Vorgehen steigt zusehends, weil sowohl die Wasser- und Abwasserkosten drängen als auch nachhaltige Praktiken für Molkereien in den Fokus rücken – sozusagen zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit.
Um planvoll Wasser zu sparen und Prozesswasser im Kreislauf zu führen, ist Transparenz über den hochkomplexen Molkereibetrieb immens wichtig, und hier haben wir noch einiges zu tun. Darauf zielt auch unsere Challenge für die Start-ups: Wir wollen über herkömmliche technische Methoden (wie Reverse-Osmosis-Anlagen, Kühlwassersparen bei Separatoren etc.) hinausdenken, und einen umfassenden Überblick über den Wasserfußabdruck einer Molkerei geben. Ziel ist es, die Betriebe mit dem Wissen auszustatten, das sie benötigen, um Entscheidungen zu treffen. Es geht nicht nur um Wasser sparen, sondern die Förderung eines nachhaltigen Wassermanagements an sich. Deshalb arbeiten wir an einer dynamischen „Wasserstress-Karte“, die den Produktionsprozess laufend überwacht und den Wasserverbrauch optimiert. Dazu müssen wir KPI (Key Performance Indicators) definieren und mit dem aktuellen Daten der Anlage abgleichen. Daraus generieren sich Entscheidungswissen, Handlungsempfehlungen und – je nach Reife der KI – auch Selbstoptimierungen.
Die meisten Daten für einen Überblick über die Anlage können uns Sensoren liefern. Technisch ist das für Molkereien schon heute umsetzbar – natürlich ist es eine Investitionsentscheidung, wenn hier noch nachgerüstet werden muss. Die Bereitschaft, diese Daten zur Verarbeitung zur Verfügung zu stellen, ist ein klarer Erfolgsfaktor für die nachhaltige Optimierung. Digitalisierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Betreiber und Hersteller.
Wo liegen die spezifischen Schwierigkeiten beim Management des Wasserverbrauchs in der Molkereiindustrie bzw. der Lebensmittelindustrie mit bisherigen Methoden?
Thomas Jackson: Nicht nur in kleinen Molkereien mit vielen manuellen Prozessen, sondern auch in großen Molkereien mit automatisierten Maschinen gibt es im Vergleich zu anderen Industrien immer noch einen Mangel an Daten und ihrer dauerhaften Speicherung. Das Management von Wasser, Strom und anderen Ressourcen wird entweder noch per Hand oder mit wenig intelligenter klassischer Software gesteuert. Dies ist vor allem bei größeren Betrieben nicht mehr effizient und nutzt vor allem die Potenziale guter Daten nicht aus. Aktuell sind die Daten allerdings oft nicht einheitlich, die Auswertemethoden (falls vorhanden) langsam und daher optimale datenbasierte Entscheidungen selten und nur verzögert möglich. Um ambitioniertere Ziele durch informierte Entscheidungen zu erreichen – wie z.B. die Trinkwasser-Einsparziele von GEA – brauchen wir notwendigerweise neue, innovative Lösungen, die wir jetzt gemeinsam umsetzen werden.
Welchen Optimierungsbeitrag können Data Science & KI-Lösungen künftig leisten?
Christian Becker: Digitalisierung und KI sind in der Tat enorme Katalysatoren für Produktivität, Effizienz und Nachhaltigkeit in der Industrie. Bei GEA nutzen wir diese Technologien, um unsere Maschinen und Anlagen intelligenter zu gestalten. Derzeit ermöglicht es die künstliche Intelligenz unseren Kunden, ihre Maschinen optimal zu nutzen und Herausforderungen wie Fachkräftemangel, intensiven Wettbewerb und strengere Klima- und Umweltvorschriften zu bewältigen.
Für die Zukunft erwarten wir, dass sich die Datenkonnektivität verstärkt, Kausalzusammenhänge zunehmend aufgedeckt werden und sich Produktionen immer intelligenter selbst anpassen. Inwieweit eine Molkerei autonom operieren kann, wird eher von der Unternehmens- und Branchenkultur als von den technologischen Möglichkeiten bestimmt werden. Die Molkereifachleute werden jedoch weiterhin aufgrund ihrer Erfahrungen Prozessentscheidungen treffen. Bereits jetzt hat KI einen exponentiellen Einfluss auf Innovationen, auf deren Geschwindigkeit und Qualität. Deshalb halten wir es für ratsam, sich auch an erfolgreichen Beispielen aus anderen Branchen zu orientieren.
Was gab den Ausschlag, dass OmegaLambdaTec den Pitch beim DLG.prototype.club gewonnen hat?
Georg Munde: Die Kombination aus technischer Expertise, innovativem Ansatz und überzeugender Darstellung verhalfen OmegaLambdaTec zum Sieg. Uns überzeugte die Methode zur Darstellung einer Wasserstress-Karte, die es ermöglicht, komplexe Daten visuell ansprechend und zugänglich zu präsentieren. Entscheidend war für die Jury, wie die komplexen Datenmengen analysiert und gehandhabt werden. Ein weiterer Faktor war die Skalierbarkeit der Technologie. OmegaLambdaTec demonstrierte, dass ihre Lösung auch das Potenzial hat, breitere Herausforderungen im Bereich des Frischwassermanagements anzugehen. Besondere Chancen liegen sicher auch in der Idee, den Einfluss unterschiedlicher Wassersparmaßnahmen in Form von Szenarios in der Wasserstress-Karte vorherzusagen.
OmegaLambdaTec kann seine Lösung jetzt weiter ausarbeiten, und zwar erstens in einem Praxisumfeld mit viel Marktpotenzial, und zweitens mit dem außergewöhnlich diversen und erfahrenen Unternehmen GEA, das weltweit zu den führenden für die Ausstattung von Molkereien gehört. Dieser Praxislink ist für digitale Lösungen sehr wichtig und wird oft unterschätzt. Wir arbeiten jetzt eng zusammen, um eine richtige Wasserstress-Karte zu erstellen. Ein Pilotprojekt wird uns helfen, unter echten Bedingungen zu testen und herauszufinden, was noch besser gemacht werden kann. Unsere Zusammenarbeit ist langfristig gedacht, und wir sehen gute Chancen, dass daraus noch mehr Projekte entstehen und OmegaLambdaTec am Markt weiterwachsen kann.
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Wie wird die Zusammenarbeit mit GEA perspektivisch weitergehen?
Thomas Jackson: Das erste gemeinsame Hauptziel mit GEA ist es, mögliche Wege zu einem Net-Zero-Trinkwasserverbrauch für Molkerei-Produktionsanlagen zu simulieren, kritische Prozesskomponenten zu identifizieren, Verbesserungspotenziale in der Simulation aufzuzeigen und die effizientesten, kostenoptimalen Wege zum Netto-Null-Verbrauch mittels hochdimensionaler Optimierungsverfahren zu bestimmen. Mit einem ähnlichen Vorgehen lässt sich auch der Energieverbrauch – insbesondere die Stromkosten – signifikant reduzieren, indem z.B. Flexibilitäten genutzt werden, billiger Strom in Batterien zwischengespeichert wird und Lastspitzen gekappt werden.
Auch der CO2-Fußabdruck sowie die langfristige Entwicklung hin zur Klimaneutralität lassen sich datengetrieben abbilden, simulieren und optimieren. Hinter vielen dieser Anwendungen steckt das Konzept der Digitalen Zwillinge von Produktionsanlagen, Prozessen und sogar ganzer Unternehmen. Damit lassen sich im Computer beliebige Zukunftsszenarien rechnen und z.B. langfristige Investitionsentscheidungen optimieren noch bevor der erste Euro für neue Hardware ausgegeben wurde. Mit diesen Ansätzen können Molkereien ihre Klimaziele entweder so schnell oder so kosteneffizient wie möglich erreichen.
AQUARiUS, unsere GEA-Lösung, ist für die Simulation und langfristige optimierte Planung von Anlagen gedacht. Mit der Umsetzung Digitaler Zwillinge ganzer Molkereien könnte man zukünftig auch die Prozessteuerung in Echtzeit optimieren und die Produktionsqualität und Ressourceneffizienz ganzheitlich maximieren. Das ist allerdings – wie schon gesagt – noch ein Stück Zukunftsmusik. Deutlich schneller umsetzbar ist die Nutzung langfristiger AQUARiUS-Szenarien-Simulationen, um die Planungs- & Entscheidungsgrundlagen signifikant zu verbessern. Damit kann GEA dann zeitnah die Kunden aktiv unterstützen, um ihre Produktionsanlagen nachhaltiger und ressourceneffizienter zu machen
Welche Veränderungen erwarten Sie in der Prozesstechnik der Molkereiindustrie durch Data Science & KI-Lösungen in den nächsten fünf bis zehn Jahren?
Thomas Jackson: 10 Jahre im KI-Umfeld sind ca. 5 komplette Innovationszyklen, in denen natürlich enorm viele neue Möglichkeiten und Lösungen auf den Markt kommen werden. Andererseits sind 10 Jahre für große Anlageninvestitionen wiederum kein langer Zeitraum, so dass sich die Unterschiede zwischen den modernsten Molkereien, durchschnittlichen Anlagen und Innovationsnachzüglern immer weiter vergrößern werden. Molkereien, die diese Innovationspotenziale richtig nutzen und intelligent investieren, können sich dadurch gegebenenfalls enorme Wettbewerbsvorteile verschaffen. Andererseits werden diejenigen, die zu lange abwarten und weiterhin quasi wie im letzten Jahrhundert produzieren, in diesem Zeitraum ab einem gewissen Punkt massive geschäftliche Probleme bekommen – spätestens dann, wenn die Verbraucher auf breiter Front eine nachhaltige und klimaneutrale Produktion einfordern.
Kontakte
OmegaLambdaTec GmbH
Manuela Pehle, Marketing Manager
manuela.pehle@olt-dss.com
T +49 151 292 662 66
https://omegalambdatec.com
GEA Group Aktiengesellschaft
Fanny Förster, Media Relations
pr@gea.com
gea.com