Preise müssen überzeugend vertreten werden
Herr Professor Feurer, was hat es mit der verhaltenswissenschaftlichen Preisforschung auf sich?
Die verhaltenswissenschaftliche Preisforschung setzt sich damit auseinander, wie Kunden Preise tatsächlich wahrnehmen und daraufhin Entscheidungen treffen. Diese stehen oft im Gegensatz dazu, wie sie es rationaler Weise eigentlich tun sollten. Seit den 1970er Jahren geht man daher davon aus, dass Menschen systematisch von rationalen Verhaltensprinzipien abweichen. Dies zeigt sich besonders bei der Wahrnehmung von Preisen. Die verhaltenswissenschaftliche Preisforschung hilft dabei, Verhalten trotzdem vorherzusagen. Und sie ermöglicht Rückschlüsse auf Faktoren, die die Akzeptanz für Preise beeinflussen.
Worin liegt der Hauptunterschied der verhaltenswissenschaftlichen Preisforschung zum klassischen Ansatz?
Anders als früher wird berücksichtigt, dass zwischen dem objektiven Preis und der Reaktion der Kunden – also Kauf oder Nicht-Kauf – zahlreiche psychologische Prozesse ablaufen: Ein Preis von beispielsweise 5,39 € für ein bestimmtes Schokokonfekt wird im Gehirn enkodiert und im Sinne eines Urteils über die Preisgünstigkeit interpretiert, im Langzeitgedächtnis gespeichert und später für Preisvergleiche wieder herangezogen.
Das heißt, die klassische Preisforschung kann ad acta gelegt werden?
Nein. Das klassische Vorgehen, wie die Schätzung und Analyse von Preisabsatzfunktionen und Preiselastizitäten ist weiterhin sinnvoll, muss aber um die Erkenntnisse der verhaltenswissenschaftlichen Preisforschung erweitert werden. Es ist schon allein hilfreich, wenn man sich bewusst macht, welche Annahmen die klassische Preisforschung implizit oder explizit trifft, und diese für den konkreten Fall auf ihre Plausibilität abklopft. Etwa, dass Kunden gut über aktuelle Marktpreise informiert sind. Das stimmt absolut nicht immer – gerade online entwickeln sich Preise sehr dynamisch. Hinzu kommt, dass ein und dasselbe Produkt unterschiedliche Preise haben wird, je nachdem, wo man sucht. Der Preis einer Tüte Gummibären unterscheidet sich zwischen Bahnhofsautomaten, Minibar im Hotel und Supermarkt. Außerdem kommt es darauf an, wie sehr Kunden ein Produkt interessiert und was sie erwarten. Man spricht hier von Involvement: Insbesondere, wenn ein Produkt einen höheren Stellenwert einnimmt, werden sie sich damit intensiver beschäftigen und Preise Bescheid kennen.
Wie sieht es bei Preiserhöhungen aus?
Hier lässt sich die Annahme nennen, dass gleiche Preisabstände auch gleich wahrgenommen werden. In der Realität wird aber eine objektiv gleiche Erhöhung um 1 € von 98 € auf 99 € und von 99 € auf 100 € nicht unbedingt als gleich aufgefasst. Es kann sein, dass das Produkt durch das Durchbrechen der 100er-„Schallmauer“ sprunghaft als teuer wahrgenommen wird. Nur eingeschränkt zu übernehmen ist auch die Annahme einer mit zunehmendem Preis sinkenden Nachfrage. Eine Erhöhung kann sogar zu einer gesteigerten Nachfrage führen. Hinzu kommt die Frage, ob Kunden eine Preiserhöhung als fair oder unfair wahrnehmen. Etwa weil sie Profitgier als Motiv dahinter vermuten. Ob dies alles zutrifft oder nicht, kann man heute mit gezielter Marktforschung untersuchen. Im besten Fall nehmen Kunden eine Preiserhöhung gar nicht wahr, im schlimmsten Fall reagieren sie empört.
Auch die allgemeinen Umstände spielen sicher eine Rolle?
Die Wahrnehmung von Preisen ist sehr kontextabhängig. Das bedeutet, dass ein Preis von X für das Produkt Y in einer Situation möglicherweise anders wahrgenommen wird als in einer anderen. Preise lassen sich schlecht isoliert betrachten, sie stehen nicht im luftleeren Raum! In der Regel werden Kunden einen Preis immer mit anderen Preisen vergleichen. Die Frage wäre: Welche Referenzpreise ziehen sie heran, interne, also solche die erinnert werden, als auch externe, die am Point of Sale verfügbar sind? Werden etwa alle Schokoladen gerade teurer? Eine Preiserhöhung von 10% für ein Produkt wird sicherlich weniger negativ wahrgenommen, wenn alle Wettbewerbsprodukte gerade um 20% teurer geworden sind. Referenzpreise lassen sich übrigens auch aktiv beeinflussen. Nehmen wir an, ein Anbieter von Pralinen verkauft eine Schachtel herkömmlicher Pralinen für 10€ und eine Auswahl hochwertigerer Pralinen für 20€. Die Nachfrage nach der hochwertigeren Variante lässt sich vermutlich allein dadurch steigern, dass man der Auswahl als drittes Produkt Premium-Pralinen für 30€ hinzufügt. Schon wirken die 20€ für die mittleren gar nicht mehr so teuer.
Was sagen Sie zu der Aussage „Qualität hat seinen Preis“? Und würden Ihrer Meinung nach Steigerungen bei Bio-Produkten und Grundnahrungsmitteln wie Brot eher angenommen als bei konventionellen Süßigkeiten?
Zum ersten Punkt lässt sich sagen, dass das teuerste Produkt nicht immer besser ist. Empirisch ist der Zusammenhang zwischen objektiver Qualität und objektivem Preis weniger stark als in der Wahrnehmung der Kunden. Aber wenn Kunden die Qualität nicht anders bewerten können, dient der Preis häufig als Signal für Qualität und somit als Entscheidungshilfe. Wenn ein Produkt für Kunden als so billig erscheint, dass sie an der Qualität zweifeln, kann eine Preiserhöhung sinnvoll sein und die Nachfrage erhöhen. Hinsichtlich Bio und Brot denke ich, man kann das nicht pauschal annehmen. Manchmal sind Bioprodukte so viel teurer, dass die Kunden sie sich schlicht nicht mehr leisten können. Bei Grundnahrungsmitteln vermute ich, dass Preissteigerungen genauer beobachtet werden als bei Süßigkeiten. Außerdem kommt es darauf an, wer die Preise anhebt. Wenn der lokale Biobauer im Hofladen den Preis für Brot erhöht, ist das etwas anderes, als wenn es eine Großbäckerei oder ein Discounter tut. Und: In der Handelspraxis bilden Kunden ein bestimmtes Preisimage („Aldi ist billig“) nicht auf Basis aller Produkte, sondern weniger Eckartikel. Dies sind oftmals Schnelldreher bzw. Produkte des täglichen Bedarfs. Welche das sind, wird der Handel ziemlich genau erforscht haben. Während der Preis dieser Produkte daher möglichst konstant bleibt oder ab und zu rabattiert werden wird, könnten andere zugleich im Preis steigen.
Müssen Preiserhöhungen auch im B2B-Bereich erklärt werden?
Im B2B werden Entscheidungen zwar grundsätzlich rationaler getroffen – aber auch nicht immer und uneingeschränkt. Auch da kann es „menscheln“. Insofern lassen sich durchaus Erkenntnisse aus der B2C-Preisforschung mitberücksichtigen. Dazu gehören etwa die Fragen, ob eine Erhöhung als fair wahrgenommen und welches Motiv dahinter gesehen wird. Wenn der Anbieter sie nachvollziehbar begründen kann – zum Beilspiel mit gestiegenen Rohstoffpreisen – wird eine Erhöhung vermutlich angenommen.
Wie sollten Unternehmer bei der Preisgestaltung vorgehen? Gibt es grundsätzliche Empfehlungen?
Pricing ist grundsätzlich nicht einfach, aber wichtig. Die hohe Kunst der Preisfindung wäre zu wissen, was man für einen Wert geschaffen hat, und sich nicht nur an den eigenen Kosten oder dem Wettbewerb zu orientieren. Dieser geschaffene Wert sollte sich in der Zahlungsbereitschaft der Kunden wiederspielen. Viele Unternehmen wissen aber gar nicht genau, wie hoch die eigentlich ist. Es gilt, Produkten den Preis zu geben, den sie verdienen. Genauso ist es vielleicht mal an der Zeit, bisherige Verkaufsstrukturen aufzuräumen und eine transparente, stimmige Preislogik aufzubauen.
©Pixabay