Köln: 23.–26.02.2027 #AnugaFoodTec2027

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Energiewende

Welche Potenziale bietet Flexibilisierung?

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Auf dem Weg zur Klimaneutralität steht die Lebensmittelindustrie vor einem sich wandelnden Energiesystem. In einer Studie im Auftrag des Kompetenzzentrums Klimaschutz in energieintensiven Industrien haben Forschende des Fraunhofer ISI und der RWTH Aachen untersucht, wie die Energieverwendung und Produktion flexibler werden kann.

In vielen Anlagen der Lebensmittelindustrie schlummert ungenutztes Potenzial zur Optimierung der Energieeffizienz und zur Senkung der Kosten.

In vielen Anlagen der Lebensmittelindustrie schlummert ungenutztes Potenzial zur Optimierung der Energieeffizienz und zur Senkung der Kosten. © Press4Process

Die globale Transformation

Die Energiewende ist eines der 17 globalen Ziele, zu denen sich die Weltgemeinschaft im Jahr 2015 völkerrechtlich für eine bessere Zukunft verpflichtet hat. Diese Transformation zu mehr Nachhaltigkeit weltweit gilt als die größte gesellschaftliche Veränderung seit der Industrialisierung. Auch die deutschen Unternehmen befinden sich inmitten dieses tiefgreifenden Wandels, um Produktionsprozesse künftig klimafreundlicher zu gestalten. Ziel ist es, bis 2030 einen Anteil von 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien zu decken, um das übergeordnete Ziel der Netto-Treibhausgasneutralität bis 2045 zu erreichen. Dies setzt einen enormen Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen voraus – verbunden mit einer grundlegenden Umstellung des Energiebezugs sowie von Industrieanlagen.

Flexibilität als Schlüssel für die Klimaziel

Die Sektorenkopplung wird dabei von vielen Experten als vielversprechender Lösungsweg angesehen, um fossile Wärme durch den erhöhten Einsatz von erneuerbarem Strom zu ersetzen. Denn: Wenn alle Sektoren miteinander vernetzt sind, so die Idee, dann kann mit Hilfe der erneuerbaren Energien der CO2-Ausstoß reduziert werden. Das Prinzip: Energie wird bevorzugt dann bezogen, wenn der Anteil der Erneuerbaren im allgemeinen Versorgungssystem hoch und der damit verbundene Strompreis niedrig ist. Bei wenig Erneuerbaren im allgemeinen Versorgungssystem und damit verbundenen hohen Strompreisen wird der Prozesswärmebedarf über die Eigenerzeugung gedeckt und Strom ins Gesamtnetz eingespeist. Entsprechend muss das Unternehmen dann kein oder weniger Strom beziehen.

KEI-Studie zeigt Chancen und Hürden auf

Eine flexible Fahrweise, die die Energieversorgungskosten minimiert, ist jedoch ein Potenzial, das bisher erst von wenigen Unternehmen genutzt wird. Zu diesem Schluss kommt das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI zusammen mit dem Institut für Industrieofenbau und Wärmetechnik der RWTH Aachen in einer Studie im Auftrag des Kompetenzzentrums Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI). Das Team um Dr. Tobias Fleiter widmete sich dabei vor allem den technischen, ökonomischen und regulatorischen Möglichkeiten und Hemmnissen einer stärkeren Flexibilisierung der Energieverwendung im Industriesektor. Im Zentrum der Studie steht eine umfassende Energiesystemanalyse von einzelnen typisierten Unternehmen beziehungsweise Anwendungsfällen. Mit den Ergebnissen ihrer Untersuchungen wollen die Forschenden den Unternehmen eine branchenspezifische Orientierung für die strategische Ausrichtung ihrer Anlagen bieten. „Zugleich stellen sie Handlungsempfehlungen für die politischen Entscheidungsträger dar, beispielsweise bei der anstehenden Neugestaltung der Netzentgelte“, so Flechtner der am Fraunhofer ISI das Geschäftsfeld Nachfrageanalysen und -projektionen leitet und die Studie koordinierte.

KEI-Leiter Jakob Flechtner präsentierte im September zusammen mit Prof. Dr. Christian Wuppermann, Dr. Beate Baron, Anna Malakhova-Lehe, Dr. Tobias Fleiter und Felix Kaiser die Studie „Flexibilisierung elektrifizierter Industrieprozesse" an der RWTH Aachen.

KEI-Leiter Jakob Flechtner präsentierte im September zusammen mit Prof. Dr. Christian Wuppermann, Dr. Beate Baron, Anna Malakhova-Lehe, Dr. Tobias Fleiter und Felix Kaiser die Studie „Flexibilisierung elektrifizierter Industrieprozesse" an der RWTH Aachen. © KEI | Toni Kretschmer

Fokus auf klimaneutrales Energiesystem

Während frühere Untersuchungen sich vor allem auf die Bewertung des Potenzials durch eine Flexibilisierung bestehender Produktionsprozesse konzentrierten, richtet die KEI-Studie den Blick wesentlich stärker auf das zukünftige klimaneutrale Industrie- und Energiesystem. Dabei stehen die erwartete Elektrifizierung sowie der Umstieg auf Wasserstoff im besonderen Fokus. Sie nimmt dabei eine vorausschauende Perspektive bei der Umstellung einer aktuell stark auf fossilen Energien basierenden industriellen Produktion ein, wie etwa die zukünftige Elektrifizierung von Prozessen bei der Versorgung von Prozesswärme. Die Bewertung von Industrieflexibilität erfolgt innerhalb eines stark auf erneuerbare Stromerzeugung ausgerichteten Energiesystems.

Energieeinsatz bisher kaum flexibilisiert

Die Studie konstatiert, dass Energieeinsatz und Produktionsprozesse in der Grundstoffindustrie – zu denen beispielsweise auch Molkereien und Mühlen als erstes Glied in der Kette der Lebensmittelherstellung zählen – bisher in der Regel kaum flexibilisiert, bestehende Produktionsanlagen hoch ausgelastet und auf kontinuierlichen Betrieb optimiert sind. Die Fallbeispiele im Rahmen der Studie zeigen aber ebenfalls, dass eine stärkere Flexibilisierung heutiger Produktionsprozesse sowie zukünftig elektrifizierter Prozesswärmeanlagen technisch möglich ist – allerdings auch zusätzliche Kosten nach sich zieht. Diese ergeben sich durch veränderte Wartungs- und Betriebskosten, Investitionen in zusätzliche Produktions- und Lagerkapazitäten oder Kosten für den Energietransport. Flexibler Energiebezug ist nur dann wettbewerbsfähig möglich, wenn entstehende Zusatzkosten durch Einsparungen kompensiert werden. Beim Energiebezug steht die Industrie vor der Herausforderung, erneuerbare Energieträger wie Wasserstoff oder Strom in bestehende, über Jahrzehnte optimierte Produktionsprozesse zu integrieren.

Erste Schritte

Allerdings ist oft eine vollständige Elektrifizierung vieler Prozessketten kurzfristig nicht möglich. In einem ersten Schritt können beispielsweise elektrische Dampferzeuger existierende erdgasbefeuerte Anlagen ergänzen. Auch hybride Systeme, welche mehrere Energieträger nutzen und relativ flexibel im Betrieb wechseln können, versprechen ein großes Potenzial, um den Energiebezug der Industrie stärker zu flexibilisieren und so stärker an der Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie auszurichten. Langfristig könnten hybride Systeme aus Wasserstoff und Strom auch in der Lebensmittelindustrie einen effizienten Beitrag zum Energiesystem leisten.

Klare Strategie der Politik notwendig

Fleiter weist auf weitere Erkenntnisse hin: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass der aktuelle regulatorische Rahmen die Flexibilisierung des Energieeinsatzes und der Produktionsprozesse in der Industrie hemmt, weil die bisherigen Regelungen zu den Netzentgelten Anreize für möglichst hohe Volllaststunden und einen kontinuierlichen Strombezug setzen. Daher sollten die Stromnetzentgelte künftig stärker an den Anforderungen eines von Windenergie und Photovoltaik geprägten Energiesystems ausgerichtet werden.“ Der Experte unterstreicht zudem, dass die Lastflexibilisierung in der Industrie einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Integration erneuerbarer Energien in das Energiesystem leisten kann. Gleichzeitig gilt es, die Möglichkeiten realistisch einzuschätzen und Industrieflexibilitäten im Kontext mit anderen Optionen wie Speichertechnologien oder überregionalen Ausgleichen über die Übertragungsnetze zu bewerten.

Damit das Flexibilitätspotenzial in der Industrie aber realisiert werden kann, braucht es aus der Sicht der Forschenden eine klare Strategie der Politik und Investitionen. Eine Strategie zur Steigerung der Energieflexibilität sollte Synergien mit anderen Politikfeldern erschließen. Dazu zählen die Transformation zur klimaneutralen Produktion, die Resilienz der Energieversorgung oder die Absicherung gegen Preisschwankungen.